Funk-Loch auf dem Balkan

BERLIN. Die Bundeswehr hat auch im 50. Jahr ihres Bestehens mit Gewalt, rüden Umgangsformen und Geldmangel zu kämpfen. Der scheidende Wehrbeauftragte des Bundestags, Willfried Penner, legte am Dienstag in Berlin seinen letzten Jahresbericht vor.

Wer in Ehren aus dem Amt scheidet, der braucht kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen. Als die Wehrbeauftragte des Bundestages, Claire Marienfeld (CDU), fast auf den Tag genau vor fünf Jahren ihren abschließenden Jahresbericht über die Sorgen und Nöte der Soldaten präsentierte, bekam die Bundesregierung viel Kritik zu hören. Stein des Anstoßes war der mangelhafte informationspolitische Umgang mit den Bundeswehreinsätzen auf dem Balkan. Marienfelds Nachfolger Willfried Penner (SPD), der das Amt turnusgemäß noch bis Anfang Mai bekleidet, zog gestern ebenfalls kräftig vom Leder: "Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass parteipolitische Präferenzen im Personalwesen des Bundestages an der Tagesordnung sind." Der Hintergrund seiner Empörung erschließt sich schon auf der ersten Seite des aktuellen Jahresberichts. Demnach hatte sich Penner dafür eingesetzt, die seit September 2004 verwaiste Stelle seines Leitenden Beamten mit dem langjährigen Sekretär des Verteidigungsausschusses zu besetzen, was Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) jedoch rundweg ablehnt. Stattdessen setzt Penners Parteifreund auf einen Mitarbeiter, der "keine Erfahrung mit Bundeswehr und Soldaten hat", wie es im Jahresbericht unverblümt heißt. Dem Vernehmen nach handelt es sich bei Thierses Favorit um eine Person mit SPD-Parteibuch, während der von Penner bevorzugte Beamte Mitglied der CDU ist. Auf Penners Initiative soll sich nun der Bundestag mit der Angelegenheit befassen. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, ging gestern ebenfalls mit Thierse ins Gericht. Der Bundestag sei "aufgerufen, dafür zu sorgen, dass die Mehrheit des Parlaments dieser berechtigten Kritik Rechnung trägt und schnellstmöglich Abhilfe schafft", meinte Gertz. Dabei dürften auch die übrigen Punkte im Jahresbericht für parlamentarischen Diskussionsstoff sorgen. Insgesamt 6154 Vorkommnisse hatte der Wehrbeauftragte im Jahr 2004 zu bearbeiten. Bezogen auf die jahresdurchschnittliche Stärke der Bundeswehr ist das ein neuer Höchststand. Als Marienfeld vor fünf Jahren ihren letzten Bericht vorlegte, waren es noch rund 5800 gewesen. Penner beklagte eine "Schere" zwischen den wachsenden Anforderungen an die Bundeswehr und den "Grenzen des Budgets". So fehlten beispielsweise Funkgeräte bei Patrouillen außerhalb eines afghanischen Feldlagers. Auch Kampfrucksäcke in Tarndruck sowie Kampfschuhe in Tropenausstattung sind laut Bericht Mangelware. An der Heimatfront sieht es offenbar noch schlechter aus. Während die ostdeutschen Kasernen inzwischen auf Vordermann gebracht wurden, sind die Unterkünfte in den alten Ländern vielfach durch Schimmelbefall, marode Rohrleitungen und erneuerungsbedürftige Sanitäreinrichtungen gekennzeichnet. Die größten Schlagzeilen machte die Truppe zuletzt mit den Misshandlungen von Rekruten bei der Grundausbildung. 94 Misshandlungen mitgeteilt

Im Zuge der Ermittlungen bei einer Ausbildungskompanie in Coesfeld registrierte der Wehrbeauftragte 43 Eingaben, die zum Teil schon länger zurück liegende Ereignisse beleuchteten. Insgesamt wurden Penner im vergangenen Jahr 94 Misshandlungen mitgeteilt. Das waren immerhin 36 mehr als 2003. Zu den Delikten gehörten Kameraden-Misshandlungen wie das Schlagen in die Nieren, aber auch Gewalt gegen Vorgesetzte. Über seinen Nachfolger schwieg sich Penner demonstrativ aus. Eigentlich sollte der Chef des Verteidigungssausschusses, der Sozialdemokrat Reinhold Robbe den Posten des Wehrbeauftragten übernehmen. Weil sich der umstrittene Kandidat aber nur denkbar knapp in der eigenen Fraktion durchsetzen konnte und seine Wahl im Bundestag die Kanzlermehrheit erfordert, gibt es daran inzwischen wieder massive Zweifel. Die Abstimmung wurde auf den April verschoben. Penner spielte darauf nur indirekt an: Nach "menschliches Ermessen" habe er gestern den Jahresbericht zum letzten Mal vorgelegt.

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