Gaddafis heimliche Revolution

Von unserem Korrespondenten Friedemann Diederichs Washington. Die Botschaft aus Libyen war an Dramatik kaum zu übertreffen: Der libysche Revolutionsführer Mummar el Gaddafi hat sich bereit erklärt, sein Massenvernichtungswaffen-Programm offenzulegen. London und Washington werteten das als Bestätigung ihrer Anti-Terror-Politik.Nächtliche Geheim-Treffen mit Libyens Staatschef Gaddafi. Überraschende Einladungen an amerikanische und britische Experten, sich doch in Waffen-Produktionsstätten umzuschauen. Und US-Außenminister Colin Powell, der vergangene Woche vom Krankenbett aus unmittelbar nach einer Prostata-Krebsoperation mit seinem britischen Kollegen und libyschen Regierungsmitgliedern telefonierte, um die letzten Weichen zu stellen. Das waren einige der Zutaten, die am Ende zur verblüffenden Erklärung aus Tripolis führten, alle bereits produzierte Massen-Vernichtungswaffen ebenso aufgeben zu wollen wie noch vorhandene Entwicklungsprogramme. Was nun in Washington und London als größter diplomatischer Erfolg der letzten Jahre gefeiert wird, ist - wie am Wochenende in den USA bekannt wurde - das Resultat intensiver Gespräche hinter den Kulissen, die im März dieses Jahres kurz vor Ausbruch des Irak-Krieges begannen, nachdem Libyens Geheimdienstchef zunächst die britische Regierung kontaktiert und Verhandlungen offeriert habe. Noch am Wochenende mußmaßte man über die eigentlichen Motive Gaddafis: Die Spekulationen reichen von einer Furcht des Diktators, nächstes Ziel der amerikanischen Militärmaschinerie zu sein, über den Wunsch, innerhalb der internationalen Gemeinschaft wieder als vollwertiges Mitglied angesehen zu werden, bis hin zum möglichen Wunsch Gaddafis, sich gemeinsam mit dem Westen gegen extremistische Kräfte im eigenen Land behaupten zu können. Streng vertraulich und nach Mitternacht

Gaddafi war offenbar so an einem Gelingen der Gespräche gelegen, dass er stets höchstpersönlich mit Vertretern der USA und Großbritanniens sprach - und diese Treffen aus Gründen der Geheimhaltung meist erst kurz vor Mitternacht und in abgedunkelten Bürogebäuden in Tripolis stattfanden, nachdem zuvor die westlichen Diplomaten mehrfach die Fahrzeuge wechseln mussten. Im Oktober und der ersten Dezemberwoche hatten dann amerikanische und britische Waffenexperten erstmals die Gelegenheit, ausführlich Produktionsstätten zu besichtigen, darunter allein zehn Fabriken, die an dem Nuklearprogramm Gaddafis mitarbeiteten. Die Fähigkeit Libyens, angereichertes Uran für Atombomben zu produzieren, sei "weitaus fortgeschrittener als wir jemals angenommen haben", enthüllte einer der US-Wissenschaftler. Eine der interessanten Fragen ist nun, welche Nationen die zur Urananreicherung notwendigen Zentrifugen an Tripolis geliefert haben, und ob es internationale Kooperation bei der Gewinnung jener chemischen Substanzen gab, die den Grundstein für ein detailliertes Waffenprogramm bildeten. Für ein Biowaffen-Projekt fanden die westlichen Experten allerdings keine klaren Indizien. Und ebenso wird derzeit gerätselt, ob es - wie in Großbritannien berichtet - den USA tatsächlich gelungen ist, Gaddafi Informationen zur Terrorstruktur der El Kaida-Organisation zu entlocken. "Wir hoffen, künftig mit Libyen in Sachen Terrorbekämpfung eng kooperieren zu können", hieß es am Wochenende lapidar in Washington. Als Belohnung darf Gaddafi möglicherweise mit einer Aufhebung des seit 17 Jahren bestehenden US-Handels-Embargos rechnen - eine Blockade, die nach dem Bombenanschlag auf den PanAm-Jumbojet verhängt wurde, der im Dezember 1988 kurz vor Weihnachten über dem schottischen Lockerbie explodiert war und 270 Menschen in den Tod gerissen hatte. Das ebenfalls seitdem als Strafmaßnahme angesehene UN-Embargo war zuletzt zu den Akten gelegt worden, weil Libyen die Verantwortung für die Terroraktion übernommen und zehn Millionen Dollar Entschädigung für jedes Opfer angeboten hatte. "Bevor wir unsere Sanktionen aufheben, muss Gaddafi seinen Worten auch Taten folgen lassen", sagte ein Sprecher von US-Präsident Bush.

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