"Gefangene des Irrsinns dieser Kommission"

QUEDLINBURG/TRIER. Die Rechtschreibreform, 1996 von den deutschsprachigen Ländern beschlossen und seit 1998 in Kraft, sollte den Umgang mit der deutschen Sprache vereinfachen. Bilanz nach neun Jahren: Das Ziel wurde gründlich verfehlt.

"Irgendwie halten momentan alle die Luft an, weil andauernd widersprüchliche Meldungen kommen." So fasst Gertrud Hoos, stellvertretende Leiterin des Studienseminars Trier für das Lehramt an Gymnasien und zuvor selbst Fachleiterin Deutsch, die Stimmung unter den Kollegen zusammen. Kein Wunder: Bislang erleichterten mehr oder weniger großzügige Pufferzonen – nicht nur Schülern – seit 1998 den fehlerfreien Umgang mit der deutschen Sprache. Zeit genug, sollte man meinen, um die Bedenken vor der endgültigen Regelfestschreibung, die am 1. August dieses Jahres in Kraft treten soll, zu zerstreuen. "Die neue Rechtschreibung macht all denen keine Probleme, die von Anfang an, also seit 1998, damit arbeiten", bestätigt denn auch Gertrud Hoos. "Die meisten Schüler haben schließlich nie etwas anderes gelernt. Und die, die sich umstellen mussten, haben die Schule inzwischen hinter sich." Wenn es allerdings nach den Vorstellungen des Rates für die Deutsche Rechtschreibung geht, der heute in Mannheim zusammentritt, müssten viele Schüler mitten auf der Strecke wenn schon nicht die Pferde, so doch zumindest das Zaumzeug auswechseln: Von den Zweitklässlern bis zu den Abiturienten heißt es dann wieder umlernen. Auch dies, so Hoos, sei für die betroffenen Schüler gar nicht so problematisch gewesen. Die "ß" zu "ss"-Regelung sei allein deshalb einprägsam, weil sich deren Logik auf den ersten Blick erschließe. Kniffliger sei es da schon bei der Groß- und Kleinschreibung gewesen, am vertracktesten aber mit der Getrennt- und Zusammenschreibung. Und genau die steht heute erneut auf dem Prüfstand. Sollten sich die 18 Experten aus dem deutschsprachigen Raum in Quedlinburg auf eine gemeinsame Linie einigen können, wie es sich bereits abzeichnet, werden die Beschlüsse Verbänden aus Schulen und Behörden zur Anhörung vorgelegt. Allerdings haben sich einige Medien schon längst über die Vorgaben hinweggesetzt, und genau darin liegt für Gertrud Hoos das größte Problem: "Bestimmte Zeitungen, etwa die Frankfurter Allgemeine, und auch die ARD sind zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt. Auf diese Weise entsteht ein fürchterliches Kuddelmuddel." Die Frage, die sich jeder (Deutsch-) Lehrer stellen muss: Wie macht man seinen Schülern plausibel, dass ein angesehenes Intelligenzblatt eine Rechtschreibung benutzt, die ihnen als Fehler angestrichen wird? Sollte sich der Rechtschreibrat allerdings für eine Rücknahme in Sachen Getrenntschreibung entscheiden, also zur Rolle rückwärts auffordern, so rechnet der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Ludwig Eckinger, mit einer neuerlichen Verlängerung der Übergangszeiten bei der vollständigen Einführung der Rechtschreibreform. Der sprachliche Schwebezustand bliebe also noch eine Weile. Ein Zeitraum von einem Jahr sei denkbar, bis auch die Änderungen des Reformwerkes in Kraft treten werden. Gleichzeitig gibt Eckinger sich optimistisch: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir kein Ergebnis bei der Sitzung erzielen werden." Andernfalls gilt weiterhin, was Gertrud Hoos für sämtliche Kollegen und deren Schüler auf den Punkt gebracht hat: "Wir sind Gefangene des Irrsinns dieser Kommission."

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