Gefeierte Helden - primitive Räuber

TRIER. Betrug an der Börse, gefälschte Bilanzen, flächendeckende Korruption, steigende Pleiten und im Spendensumpf versinkende Parteien: Nach Ansicht des Münchner Fachautors Günter Ogger ist die Kriminalisierung des Wirtschafts- und Polit-Systems bereits so weit fortgeschritten, dass korrektes Verhalten die Ausnahme ist. Der TV sprach mit dem Publizisten über die miesen Maschen der deutschen Denker und Lenker.

Letzte Woche wurde bekannt, dass die StaatsanwaltschaftDüsseldorf Anklage erhoben hat gegen sechs ehemaligeMannesmann-Manager. Ihnen soll die Übernahme durch Vodafonekräftig versüßt worden sein - mit insgesamt 100 Millionen Euro.Hat Sie der Vorfall überrascht? Ogger: Überrascht haben mich nur einige jetzt erst bekannt gewordene Details. Die Betroffenen haben durch rückdatierte Scheinverträge und Vereinbarungen den Anschein der Legalität erwecken wollen. Das ist dank der gründlichen Ermittlungen allerdings in die Hose gegangen. Nicht überrascht hat mich dagegen die finanzielle Größenordnung. Auch nicht, dass da Leute bedient worden sind, die zu der Wertsteigerung von Mannesmann rein gar nichts beigetragen haben.

Ist die "Mannesmann-Affäre" für Sie ein Lehrstück für die Raffgier und Skrupellosigkeit deutscher Manager oder eher eine unrühmliche Ausnahme von der Regel?

Ogger: Mannesmann ist keine Ausnahme. Nur findet man nicht immer derart viele Beweise für das Verhalten der Manager-Kaste. Die Wirtschaft ist dabei, sich in eine ganz üble Richtung zu entwickeln. Ich nenne diese Richtung Betrüger-Wirtschaft.

Können Sie das mal ein wenig konkretisieren…

Ogger: Die Entwicklung begann Anfang der 90-er Jahre in Amerika. Damals fingen an der Wall Street so genannte Raider, also Firmen-Ausschlachter, damit an, relativ niedrig bewertete Unternehmen zu übernehmen und zu zerschlagen. Die Einzelteile wurden dann mit hohem Gewinn wieder verkauft. Das war der Beginn einer völlig neuen Form von Unternehmenspolitik. Denn nun begannen die Manager, den "Shareholder Value" (Anmerkung: Firmenpolitik, die sich vorrangig an der Wertschaffung für die Aktionäre orientiert) zum Leitbild ihrer Geschäftspolitik zu machen, um nicht von Raidern gekapert zu werden. Steigende Aktienkurse lockten das Sparkapital der gesamten US-Nation an. Das Geld wurde in Investmentfonds investiert, die den großen Banken gehörten. Fortan waren Morgan Stanley, Goldman Sachs, JP Morgan und wie sie alle heißen die neuen Herrscher über die US-amerikanische Wirtschaft.

…und die wollten Cash sehen?!

Ogger: Genau. Die Banken forderten jedes Quartal höhere Renditen. Damit die Firmen-Manager artig mitspielten, wurden sie an dem Kuchen beteiligt - mit Aktienoptionen. Zunächst lief allesbestens: Die Kurse stiegen, die Beschäftigung nahm zu, und die Firmen verdienten immer mehr. Europa war so begeistert, dass es das Modell kopierte. Erst später stellte sich heraus, dass vieles eine reine Luftnummer war: Ein Großteil des vorgegebenen Wachstums bestand aus gefälschten Zahlen. Und das Ergebnis wurde mit gigantischer Verschuldung erzielt.

Letzte Woche Mannesmann, diese Woche Telekom, deren Vorstand den Aktionären angeblich milliardenschwere Risiken verschwiegen haben soll. Zufall - oder gibt es tatsächlich immer mehr (und größere) Wirtschaftsskandale in Deutschland?

Ogger: Die nächsten großen Wirtschaftsskandale stehen schon vor der Tür - besonders im Bankenbereich. In den Bilanzen von Commerzbank, Dresdner Bank und HypoVereinsbank schlummern gigantische Risiken, die noch nicht bereinigt wurden. Nicht umsonst waren die Bankbosse letzte Woche beim Kanzler und haben einen Notplan vorgelegt, der die Risiken auf eine öffentliche "Bad Bank" verlagern soll. Offenbar soll sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau an dieser Bank beteiligen, was bedeuten würde: Der Steuerzahler haftet für das Missmanagement der Top-Manager.

Wie bewerten Sie das?

Ogger: Das wäre katastrophal. Die Bundesregierung muss sich querstellen.

Warum nimmt die Zahl der "Betrüger in Nadelstreifen" anscheinend immer mehr zu?

Ogger: Es gibt keine funktionierende Kontrolle. Die Manager-Kaste kontrolliert sich faktisch selbst. Schauen Sie sich die Aufsichtsräte und Vorstände der 50 größten deutschen Unternehmen an: Man begegnet immer den selben Figuren, und die tun sich gegenseitig nicht weh. Hat es ein Manager erst einmal in den Vorstand eines Unternehmens geschafft, glaubt er, den Gipfel seiner Träume erreicht zu haben. Das ist für ihn eine Lizenz zur Selbstbedienung. Es gibt keinen Ethos mehr in den Unternehmen.

Es gibt ja auch immer weniger Unternehmer…

Ogger: Stimmt. Der Rückzug der großen Unternehmerfamilien hat das angestellte Management zu Herren der Wirtschaft gemacht. Das ist verhängnisvoll. Die Manager glauben nämlich, das Unternehmen gehöre ihnen und versuchen, sich nach Kräften daran zu bereichern.

Brauchen wir in Deutschland härtere Gesetze gegen Wirtschaftskriminalität?

Ogger: Die Gesetze sind da, sie werden nur nicht hinreichend angewandt. Es fehlt jemand, der Ernst macht und ein paar Manager in den Knast bringt. Vor diesem Hintergrund bewundere ich den Mut der Düsseldorfer Staatsanwälte im Fall Mannesmann. Ich wünsche mir, dass der Prozess auch mit einem harten Urteil endet.

Sind Wirtschaftsfunktionäre und Politiker, die nur noch an ihr eigenes (finanzielles) Wohlbefinden denken, ein Spiegelbild der Gesellschaft oder eher ein "Vorbild" für andere?

Ogger: Natürlich sind sie ein Spiegelbild der Gesellschaft. Sie haben zwar mehr Möglichkeiten, sich zu bereichern. Doch vermutlich würde jeder andere genauso handeln. Aber Manager und Politiker sind Leitbilder. Sie sind sich dieser Vorbildfunktion offenbar nur nicht bewusst, und sie handeln auch nicht danach.

Ex-Telekom-Chef Ron Sommer, Thomas Haffa von EM.TV oder Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid wurden von Börsianern, Aktionären und auch den Medien als Gurus gefeiert, bis die Kurse abstürzten und sich ihre Prophezeiungen als fauler Zauber herausstellten. Haben Sie Mitleid mit denen, die vom großen Geld träumten und schließlich auf die Nase fielen?

Ogger: Nein. Wer alles auf eine Karte setzt und sein Geld verliert, ist selbst schuld. Aktien sind halt Risikopapiere. Auch mit den New-Economy-Börsen-Helden von Gestern habe ich nicht das geringste Mitleid. Den meisten ging es ja nicht um neue Technologien oder den Fortschritt der Wirtschaft, sondern schlichtweg ums Abstauben, Bluffen und Blenden. Sie sind primitive Räuber.

Wir reden die ganze Zeit von Betrügern und Abzockern. Gibt es in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft eigentlich auch "Helden in Nadelstreifen"?

Ogger: Na klar. Wir haben in Deutschland rund drei Millionen Firmen. Viele mittelständische Unternehmer, die die Bezeichnung Unternehmer noch verdienen, weil sie mit eigenem Kapital haften, sind ehrbare Leute, die sich mühen, über die Runden zu kommen. Viele von denen sind sich auch ihrer Verantwortung gegenüber der Belegschaft bewusst. Was ich anprangere sind Leute, die keinerlei Risiko tragen. Manager mit Fünf-Jahresverträgen genießen alle Vorzüge und haften mit nichts.

Nennen Sie doch einmal Ross und Reiter…

Ogger: Nehmen Sie nur den überall gefeierten ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer. Was hinterlässt er? Eine Firma, die vor Breuers Antritt über stille Reserven von 20 Milliarden Euro verfügte, heute fast keinerlei Reserven mehr hat und sogar noch das Tafelsilber verkaufen musste, um ausgeglichene Bilanzen vorweisen zu können. Leute wie er, die eine Firma heruntergewirtschaftet haben und dafür noch brillante Gehälter (Breuer bekam letztes Jahr elf Millionen Euro) kassieren, sind Abzocker. Man sollte sie zur Verantwortung ziehen und ihnen nicht auch noch den Vorsitz im Aufsichtsrat übertragen.

Ihr neues Buch "Die Ego-AG" trägt den Untertitel "Überleben in der Betrüger-Wirtschaft". Können Sie unseren Lesern einige nützliche "Überlebens-Tipps" geben?!

Ogger: Sie sollten sich resistent machen gegen alle Verführungen der Wirtschaft. Verführung dient immer dazu, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Verführung fängt mit Werbung an: Scheinbar günstige Angebote stellen sich bei näherem Hinsehen vielfach als überteuerte Offerten heraus. Wer eine größere Investition plant, sollte Handelswege und Preise vergleichen, um wirklich das günstigste Angebot zu finden. Auch hier gilt: Vorsicht vor Verführungen. Vertrauen wird heutzutage mit Verlusten bestraft. Deshalb ist notgedrungen allerhöchstes Misstrauen angesagt, sobald es ums liebe Geld geht.

Mit Günter Ogger sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

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