Gegnerische Tote bleiben ungezählt

WASHINGTON. Wie viele Zivilisten starben beim Krieg im Irak? Wahrscheinlich wird die Öffentlichkeit das nie erfahren. Denn die US-Regierung zeigt an einer klaren Antwort kein Interesse.

Der Schutz der Zivilbevölkerung sei ein herausragendes Prinzipder Kriegsführung. Gebetsmühlenhaft wiederholten die Sprecher desUS-Verteidigungsministeriums wie auch Pentagon-Chef DonaldRumsfeld während der vergangenen Wochen diese Aussage. Doch wennin den nächsten Tagen US-Politiker das offizielle Ende desIrak-Krieges verkünden, wird es - wie schon in Afghanistan - vonSeiten der US-Regierung keinerlei Angaben über die mögliche Zahlder zivilen Opfer geben. "Wir zählen keine Leichen", erklärteOberbefehlshaber Tommy Franks. Was so nicht ganz stimmt: Über dieeigenen Verluste - bis heute 129 Gefallene - führen die USAjedenfalls genau Protokoll. William Arkin, ein früherer US-Armeeoffizier und heute als Berater der Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch aktiv, sieht einen Grund für das offizielle Schweigen: "Wir würden vermutlich über das wahre Ausmaß der Schäden erschüttert sein."

Arkin stützt diese Annahme vor allem auf zwei Umstände: Die Tatsache, dass sich irakische Kämpfer häufig unter die Zivilbevölkerung gemischt hatten oder gleich zivile Kleidung trugen - und so für die US-Truppen eine Unterscheidung nahezu unmöglich machten. Und auch die so genannten "intelligenten" Bomben, die - bis zu 1000 Kilo schwer - auch in Wohngebieten eingesetzt worden sind. Zwar trafen diese zumeist präzise die anvisierten Objekte, doch Bombensplitter sorgten oft noch in eineinhalb Kilometern Entfernung für Opfer. Auch sei es, so Arkin, derzeit verfrüht, mit dem Kriegsende auch das Zählen der Toten zu beenden. Eine wissenschaftliche Studie der amerikanischen Columbia-Universität hat in diesem Zusammenhang ergeben, dass im ersten Golfkrieg vermutlich rund 3500 Zivilisten während der Kämpfe starben - doch allein 14 000 seien beispielsweise in den Wochen danach den Folgen verseuchten Wassers im Irak erlegen.

Um die Frage nach den Opfern unter der Zivilbevölkerung nicht gänzlich unbeantwortet zu lassen, addiert derzeit eine amerikanische Privatinitiative - die Projektgruppe "Iraq Body Count" - nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Quellen die vorliegenden Zahlen. Bis gestern ging dieses Projekt von mindestens 1878 und höchstens 2325 getöteten Zivilisten aus und stützt sich bei der Untersuchung auf die Methoden des US-Wissenschaftlers Marc Herold von der Universität New Hampshire aus dem Afghanistan-Krieg. Herold hatte ermittelt, dass zwischen 3700 und 4000 afghanische Bürger durch Kampfhandlungen umkamen - und damit mehr Menschen, als bei den Terroranschlägen in New York und Washington getötet wurden.

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