Genossen entdecken den wahren Gegner

BERLIN. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat am Montag auf einer SPD-Wirtschaftstagung in Berlin die Opposition stark kritisiert. Er warf CDU/CSU und FDP vor, sie wollten mit einem "ungebremsten Sozialabbau" die Axt an erhaltenswerte soziale Errungenschaften legen.

Im rappelvollen Willy-Brandt-Haus beim Kongress der SPD-Bundestagsfraktion zur Zukunft der sozialen Marktwirtschaft war der Tenor unter den Sozialdemokraten gestern eindeutig: Über die letzte Woche, über die roten Chaos-Tage soll nun möglichst schnell Gras wachsen. Die Genossen wollen sich endlich für den Wahlkampf warm laufen, und auch der Kanzler mischt sich nach den Querelen rund um die Neuwahlen wieder ein: "Manchen in der Opposition kann es offensichtlich nicht schnell genug gehen, unser Land in eine Zeit vor Einführung der sozialen Marktwirtschaft zurück zu führen", zeigte bei der Veranstaltung Gerhard Schröder kämpferisch seinen Leuten auf, wo von jetzt an der Gegner sitzt – nicht mehr im Präsidenten-Schloss, nicht mehr in der eigenen Partei oder bei den Grünen, sondern bei CDU, CSU und FDP, die für einen "ungebremsten Sozialabbau" stünden. Es war der erste Auftritt des Kanzlers vor seinen Parteifreunden nach den Berliner Chaos-Tagen. Und es sollte mit einem schwierigen Thema der Versuch einer Kursbestimmung für den Wahlkampf werden – die Richtung, die Schröder auf der Konferenz einschlug, hatten hochrangige Sozialdemokraten vereinbarungsgemäß schon einmal am Wochenende gewiesen: Nach Agenda 2010 und Hartz IV, nach der Gründung des Linksbündnisses will sich die SPD jetzt wieder stärker dem Sozialen widmen, den handfesten Sorgen der Arbeitnehmer also. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Finanzminister Hans Eichel und SPD-Chef Franz Müntefering bekräftigten deshalb gestern ihre Forderung, die Beschäftigten stärker an den Gewinnen der Unternehmen zu beteiligen, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Bei Schröder hörte sich das allerdings etwas vorsichtiger an: "Die Entscheidung trifft nicht die Politik, die Entscheidung treffen die Tarifparteien", so der Kanzler über das Manöver seiner Parteifreunde. Jahrelang hatte die Koalition schließlich Lohnzurückhaltung gepredigt; und manchem klingelte in Berlin noch eine Forderung von SPD-Chef Müntefering aus dem Dezember 2002 im Ohr, kurz nach dem Sieg bei der Bundestagswahl: "Weniger für den privaten Konsum – und dem Staat das Geld geben, damit Bund, Länder und Gemeinden ihre Aufgabe erfüllen können", hatte er verlangt. Heute käme ihm dies wohl nicht mehr in den Sinn. Die Neuwahlen im Herbst fest im Blick hofft die SPD-Spitze jetzt, dass sich das Prinzip Attacke endlich wieder gegen den politischen Gegner richtet: Müntefering und der Kanzler gingen gestern mit gutem Beispiel voran. Geschlossenheit in Kapitalismus-Debatte

Die Ankündigung der Opposition, die Mitbestimmung und Betriebsverfassung, Jugendschutz und Kündigungsschutz und vor allem die Tarifautonomie deutlich zu reduzieren, habe feudalistische Züge und sei ein Verrat an der sozialen Marktwirtschaft, sagte der SPD-Chef. Schröder blies mit zahlreichen Angriffen gegen die Union ins gleiche Horn, wobei insbesondere ihm im Wahlkampf ein Kunststück gelingen muss: Er hat aus den "Heuschrecken", der Kapitalismuskritik des Vorsitzenden und seiner Agenda 2010 eine geeignete Wahlplattform zu machen. Keine leichte Aufgabe. Mit welcher Melodie Schröder dies in den kommenden drei Monaten bis zum möglichen Wahltermin versuchen wird, war im Willy-Brandt-Haus unüberhörbar: "Sowohl als auch", lautete die Losung des Regierungschef. Als Signal an die SPD-Linken stellte sich Schröder ausdrücklich hinter die von Müntefering angestoßene Debatte über Auswüchse des Kapitalismus: "Diese Diskussion ist notwendig. Und sie ist nicht beendet." Verantwortungsbewussten Unternehmen "geht es eben nicht um kurzfristige Gewinnmaximierung beinahe um jeden Preis", befand der Kanzler.

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