Geschlossene Gesellschaft

Die Demokraten feiern, aber sie bleiben unter sich. Damit das Milionenpublikum vor den Bildschirmen nur schöne Bilder sieht, sind Obdachlose auf den Straßen oder Normalbürger in Wandelhallen und Parties nicht erwünscht.

Denver. (die) Kayne Coy ist empört. "Die wollen doch nur eins: Obdachlose für einige Tage von der Straße kriegen," sagt der 17-Jährige, der zweimal in der Woche als Freiwilliger Bedürftige in der US-Metropole Denver mit Nahrungsmitteln versorgt. Was den jungen Mann so aufregt, ist ein ungewöhnlicher Schachzug der Stadtväter.

Denn wenn sich ab heute 6000 Delegierte, 15 000 Journalisten, mehrere tausend Demonstranten und 14 000 Anhänger Obamas zum 40 Millionen Dollar teuren Nominierungsparteitag der Demokraten einfinden, sollen jene, die sonst in Hauseingängen oder Parks übernachten, in den Zoo oder in Museen gelotst werden - mit freien Eintrittskarten und kostenlosen Busfahrkarten.

Inszeniertes, viertägiges Spektakel



Das Motiv ist schnell entschlüsselt: Die vom Bergpanorama eingerahmte "Mile High City" im Bundesstaat Colorado macht sich fein für eine Veranstaltung historischen Charakters - die erste Nominierung eines Farbigen für das Präsidenten-Amt. Und von dem inszenierten viertägigen Spektakel sind, so sehen es die Organisatoren, nur schöne und für das Fernseh-Millionenpublikum appetitlich aufbereitete Bilder erwünscht.

Der Widerspruch könnte dabei nicht größer sein. Denn was auf den ersten Blick als Hochamt der Basisdemokratie angeboten wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als geschlossene Gesellschaft der Mächtigen und Einflussreichen - abgesehen von der Schlussveranstaltung im Invesco Field-Footballstadion, wo Barack Obama am Donnerstag vor 75 000 Menschen seine Grundsatzrede halten wird. Doch zu den Logen und Wandelhallen des Pepsi-Centers, wo zuvor drei Tage lang die Prominenz der Demokraten Reden halten will, können politisch interessierte Normalbürger ebensowenig vordringen wie zu den rund 200 Parties und Empfängen, auf denen Wirtschaftsunternehmen Delegierte zum Buffet bitten.

Diese Termine sind ohnehin das Salz in der Parteitags-Suppe - denn ein Blick in die vom Organisationskomittee an potenzielle Sponsoren verschickten Broschüren zeigt schnell, welche Bedeutung die Dinnerempfänge oder Jazz-Frühstücke haben, zu denen nur geladene Gäste eingelassen werden. "Sie werden Zugang zu 232 Kongress-Abgeordneten, 51 Senatoren und 28 Gouverneuren haben - eine einzigartige Gelegenheit," warb man und schielte dabei ungeniert auf die Brieftaschen der Industrie, während sich führende Demokraten - darunter auch Barack Obama - in ihren Reden gerne immer wieder über den wachsenden Einfluss von Lobbyisten und Interessengruppen aufregen. Doch die Botschaft kam an: Fast 60 Millionen US-Dollar flossen in die Kassen der Parteitags-Veranstalter.

Die Delegierten wollen keine ehrliche Diskussion



"Ein Nominierungsparteitag ist der einzige Termin in vier Jahren, wo es am wenigsten wahrscheinlich ist, dass man eine ernsthafte Diskussion politischer Standpunkte und Programme hört," urteilt Buchautor David Frum, früher als Berater für George W. Bush tätig - und macht klar, was der entscheidende Unterschied zu Parteitagen ist, wie man sie in Deutschland kennt: "Das letzte, was die Delegierten wollen, ist eine ehrliche Diskussion und Selbstkritik, während sie dabei von tausenden Journalisten beobachtet werden."

Im Dunstkreis der Polit-Show gibt sich zudem Hollywood-Prominenz die Ehre. Ben Affleck pokert bei einer Prominenten-Pokerrunde für einen guten Zweck. Bono und Kanye West gelten als Zugpferde von Konzerten und der größten Nachtklubs der Stadt. Weil diese Termine Standfestigkeit und Ausdauer erfordern, beginnt das politische Programm im "Pepsi-Center" immer erst am Nachmittag. Zu spät für Demonstranten, die bereits gestern mit einem Protestzug gegen den Irak-Krieg aufmerksam machen wollten: Die Stadt verfügte bereits, dass derartige Aktionen nur zu bestimmten Mittagsstunden stattfinden dürfen - wenn die Delegierten noch nicht auf dem Weg von ihren Hotels in die Halle sind.

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