Gesetzeslücke oder Schaumschlägerei?

Berlin. Nach den Terror-Anschlägen von London ist in Deutschland eine Debatte über die politischen Konsequenzen für die Bundesrepublik entbrannt. Gut zwei Monate vor der wahrscheinlich vorgezogenen Bundestagswahl fordert die Union neue Sicherheits-Gesetze. Dagegen halten SPD, Grüne und FDP die bestehenden Regelungen für ausreichend.

Der jüngste Terroranschlag in London, bei dem auch vier Deutsche zum Teil schwer verletzt wurden, hat die Diskussion über sicherheitspolitische Konsequenzen neu entfacht. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach regte eine Sondersitzung des Bundestages in der Sommerpause an, "falls Rot-Grün gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht". In diesem Falle könne man sich auch noch vor den mutmaßlichen Neuwahlen im September einigen, sagte Bosbach unserer Zeitung. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, warnte indes vor "Aktionismus" und "Schaumschlägerei". Aktuell sehe er keine entscheidenden Gesetzeslücken. Bestimmte "Feinarbeiten" ließen sich auch in der neuen Wahlperiode erledigen, meinte Wiefelspütz gegenüber unserem Blatt. Am gestrigen Vormittag kamen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und die Chefs der deutschen Geheimdienste zu einer Lagebesprechung zusammen. Nach Auskunft eines Regierungssprechers haben sich daraus aber keine konkreten Gefährdungshinweise für Deutschland ergeben. Der Sprecher lobte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Arbeit der im letzten Dezember eingerichteten Antiterror-Zentrale im Berliner Stadtteil Treptow. Sie soll das bislang eher unkoordinierte Vorgehen von Kriminalämtern und geheimdienstlichen Behörden effektiver gestalten. Wegen des verfassungsrechtlichen Trennungsgebots von Geheimdienst und Polizei sind die jeweiligen Mitarbeiter auf dem Treptower Gelände in zwei verschiedene Zentren aufgeteilt. Ihre Arbeit wird durch sieben Koordinierungsgremien abgeglichen. Für Bosbach ergeben sich daraus zwangsläufig Reibungsverluste. Das Antiterror-Zentrum müsse neu organisiert werden. Es gehe nicht um eine Vermischung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten. "Die Informationserhebung bleibt getrennt. Aber wir wollen einen ununterbrochenen Informationsaustausch." Bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA hatte der Bundestag zwei Sicherheitspakete verabschiedet, die den Behörden größere Befugnisse einräumen. Über Verdächtige können zum Beispiel leichter Auskünfte bei Banken, Fluggesellschaften und Telefonanbietern eingeholt werden. Außerdem wurden die Überprüfungen für Personal in "sicherheitsempfindlichen" Bereichen verstärkt. Im Mai 2005 hatte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) dann ein weiteres Gesetzespaket ins Gespräch gebracht, das aber wegen der vorgezogenen Neuwahlen parlamentarisch im Sande verlief. Zu Schilys Forderungskatalog gehörte die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung, für die sich die Union ebenfalls stark macht. Zugleich tritt Bosbach für eine längerfristige Speicherung von Telekommunikationsdaten ein. Dieses Prinzip habe sich auch bei Aufklärung der Terroranschläge im Vorjahr in Madrid bewährt. Wer heute mit seinem Handy nur ein Guthaben abtelefoniert, braucht keine Registrierung seiner Anrufe zu fürchten. Schließlich bekommt er vom Anbieter auch keine Rechnung, aus der Zeit und angewählte Nummern ersichtlich wären. Bosbach fordert deshalb, dass solche Daten unabhängig vom Telefontarif bis zu sechs Monate gespeichert bleiben sollen. In ein neues Sicherheitspaket gehört nach seiner Überzeugung auch eine gemeinsame Anti-Terror-Datei aller 37 deutschen Behörden, die für Sicherheitsaufgaben zuständig sind. Wiefelspütz steht einer solchen Datei aufgeschlossen gegenüber, sieht darin aber nur eine "Feinarbeit". Auch Bosbach wisse, dass es keine "Patentrezepte" im Kampf gegen den Terror gebe, so Wiefelspütz. "Alte Vorlagen aus der Schublade"

Der Rechtsexperte der FDP, Max Stadler, rät unterdessen dazu, "sich besser mit den praktischen Dingen zu beschäftigen, statt alte Vorlagen zum tausendsten Mal aus der Schublade zu ziehen". Als Beispiel nannte er einen Vertrag, den Deutschland vor wenigen Monaten mit Frankreich, Spanien, Österreich und den Benlux-Staaten zum Datenaustausch über terrorverdächtige Personen abgeschlossen hat. Wegen der noch ausstehenden Ratifizierung werde er wohl erst zum Jahresende in Kraft treten. "Bis dahin können wir ihn aber freiwillig anwenden, deshalb ist der Datenaustausch ab sofort möglich", betonte Stadler gegenüber unserer Zeitung.

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