Gesundheitsreform: "Auch die Union lernt dazu"

BERLIN/SAARBRÜCKEN. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hat eingeräumt, bei der Gesundheitsreform die Konsequenzen der mit der SPD vereinbarten Ein-Prozent-Klausel unterschätzt zu haben. Um Geringverdiener nicht über Gebühr mit Krankenkassenbeiträgen zu belasten, müssten andere Ausgleichsmechanismen gefunden werden, sagte Müller im Gespräch mit unserer Zeitung. Er regte eine Lösung über das Steuersystem an.

Herr Müller, der aktuelle Gesundheitsstreit dreht sich vordergründig um die Überforderungsklausel. Ist die große Koalition nicht mit dem ganzen Vorhaben überfordert?Müller: Wir haben Handlungsbedarf im Gesundheitswesen, und dem muss die Politik Rechnung tragen. Ich glaube auch nicht, dass sie damit überfordert ist. Im Zuge der Reform wurden schon viele vernünftige Maßnahmen vereinbart. Sinnvoll ist zum Beispiel die Umstellung der Arzneimittelpreise von Fest- auf Höchstpreise. Sinnvoll sind auch die erweiterten Vertragsmöglichkeiten für die Krankenkassen. Einige Punkte müssen noch geklärt werden. Am Ende kann eine Reform stehen, die wenigstens ein paar Jahre hält. Das klingt sehr bescheiden, oder?Müller: Wir werden die grundsätzliche Systemfrage - Bürgerversicherung oder Prämienmodell - nicht in der großen Koalition klären können. Dazu sind die Positionen zu weit auseinander. Insofern wird es auch keine große Reform werden. Welchen Sinn hat die jetzt vereinbarte Prüfung der Ein-Prozent-Klausel, wenn die SPD kategorisch erklärt, daran werde nicht gerüttelt?Müller: Das ist ein Weg, um der Kraft der Argumente Geltung zu verschaffen. Die SPD hat sich auf die Ein-Prozent-Klausel versteift, obwohl mittlerweile kundige Thebaner wissen, dass sie unpraktikabel ist, weil sie den geplanten Gesundheitsfonds ad absurdum führt. Aber die Union hat bei dieser Vereinbarung mit am Tisch gesessen.Müller:Auch die Union lernt dazu. Als die Eckpunkte in einer langen Verhandlungsnacht entwickelt wurden, waren nicht alle Konsequenzen lückenlos erkennbar. Das hat sich geändert. Welche Kompromisslinien sehen Sie in Sachen Überforderungsklausel? Müller: Wir brauchen einen Überforderungsschutz für Menschen mit geringen Einkommen. Da sind wir mit der SPD einer Meinung. Dieser Überforderungsschutz kann aber nicht im Fonds angesiedelt werden. Denn die zusätzliche Prämie bringt nur dann Wettbewerb ins System, wenn damit ein Kostendruck für die Krankenkassen verbunden ist. Um zu verhindern, dass Niedrigverdiener zusätzliche Prämien in unbegrenzter Höhe zahlen, sind andere Ausgleichsmechanismen notwendig. Das kann zum Beispiel über das Steuersystem gehen. Die große Koalition will jetzt Sachverständige mit der Ausarbeitung von Alternativen beauftragen. Diese Ergebnisse müssen wir abwarten. In der SPD wird angeblich überlegt, den Zusatzbeitrag von maximal einem Prozent nicht auf das Netto-, sondern auf das Brutto-Einkommen zu beziehen. Was halten Sie davon?Müller: Auch diese Idee bleibt im systematisch falschen Ansatzpunkt stecken, die Prämie bedürftigkeitsorientiert auszugestalten. Damit wäre sie als Wettbewerbsinstrument kaum tauglich. SPD-Vizekanzler Franz Müntefering hat den Ministerpräsidenten der Union vorgeworfen, sie gefährdeten mit ihrem gesundheitspolitischen Störfeuer die Regierungsarbeit. Trifft Sie das?Müller: Das ist unsinnig. Die Ministerpräsidenten leisten einen Beitrag zu einer rationalen Diskussion für eine vernünftige Gesundheitsreform. Darüber sollte Herr Müntefering sich freuen. In Berlin wird schon über ein rot-gelb-grünes Regierungsbündnis spekuliert. Macht Sie das besorgt?Müller: Überhaupt nicht. Das gehört zu den üblichen Spielchen im politischen Hauptstadt-Biotop. Da sprießen die Gerüchte, um am nächsten Tag wieder beerdigt zu werden. Solche Dinge haben etwas mit Überhitzung zu tun, aber nichts mit rationaler Politik. Das Gespräch führte unser Korrespondent Stefan Vetter.

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