Gesundheitsreform: Obama steht zu Wahlversprechen

Wer sich derzeit in den USA als Unterstützer von Präsident Barack Obama für die geplante Gesundheitsreform stark macht, hat keinen leichten Stand. Oder muss sogar um sein Leben fürchten.

Washington. Die Nerven liegen derzeit bei vielen Amerikanern blank, wenn es um das ehrgeizigste innenpolitische Projekt des Weißen Hauses geht: Der Kongressabgeordnete Brad Miller aus North Carolina erhielt in der vergangenen Woche eine deutliche Todesdrohung - per Telefon von einem anonymen Gegner der Reformpläne. Andere Parlamentarier der Demokraten sahen sich - in Form einer Puppe - an Bäumen aufgeknüpft. Und wer in seinem Wahlkreis ein "Town Hall"-Meeting - also eine der beliebten Bürgerversammlungen - abhält, muss damit rechnen, von Kritikern aus dem konservativen Spektrum niedergeschrien zu werden. Handgreiflichkeiten, Polizeieinsätze und Saalräumungen sind dabei zuletzt die Regel gewesen.

Worum geht es? Angesichts von 46 Millionen US-Bürgern ohne Krankenversicherung ein für alle erschwingliches System zu schaffen, in dem gleichzeitig die Kostenexplosion der letzten Jahre gestoppt wird. "Versicherung für alle" heißt das Schlagwort der Obama-Regierung, die möglichst rasch den Kongress zu einer Verabschiedung der Reform bringen und damit ein zentrales Wahlversprechen Obamas einlösen will. Doch der Widerstand der Opposition und auch in Teilen der eigenen Partei hat in den letzten Tagen weiter zugenommen - weil die Kritiker der Präsidentenpläne fürchten, dass am Ende dem Land ein staatlich dominiertes Gesundheitswesen beschert wird, in dem die Bürger kaum noch Kontrollmöglichkeiten und Optionen wie eine Privatversicherung besitzen. Der Begriff des "Sozialismus" macht die Runde. Und der Ton der Debatte hat sich so verschärft, dass die "New York Times" bereits von einem "Krieg der Worte" spricht - und so gut wie keine Chance mehr auf eine überparteiliche Einigung sieht.

Beide Seiten scheinen dabei jegliche Zurückhaltung verloren zu haben. Am Freitag hatte die Demokratin Nancy Pelosi, Präsidentin des Repräsentantenhauses, Demonstranten gegen die Reformpläne mit Nazis gleichgesetzt, nachdem auf einem Protestplakat ein Hakenkreuz mit dem Wort "no" ("nein") zu sehen war. Andere Demokraten sprechen von organisierten Protesten in "Braunhemden"-Manier und vermuten einen "angemieteten Mob", der Versammlungen störe.

Am Samstag schürte dann die Ex-Vizepräsidentschafts-Kandidatin Sarah Palin die ohnehin hitzige Debatte. In einer Online-Stellungnahme warf die Republikanerin Obama vor, einen "bösartigen Plan" zu verfolgen, der unter anderem die Schaffung eines "Todes-Komitees" vorsehe, das über die Behandlungswürdigkeit eines Patienten entscheide. Palin bezog sich auf Passagen des Gesetzentwurfs, dem zufolge eine staatliche Agentur künftig Medikamente und Therapien festlegen soll, die sich für bestimmte Krankheitsbilder am besten eignen. Befürworter dieses Plans sehen darin einen Kostendämpfungs-Effekt, während Kritiker warnen: Patienten können künftig nicht mehr ihre Behandlung frei wählen. "Das Amerika, das ich liebe, ist nicht ein Land, in dem meine Eltern oder mein Baby mit Down-Syndrom vor einem Todes-Komitee Obamas stehen werden, so dass seine Bürokraten entscheiden können, wer eine Gesundheitsversorgung verdient," wetterte Palin. Barack Obama sah sich angesichts dieser Anwürfe genötigt, in einer Radioansprache zurückzufeuern: "Ungeheuerliche Gerüchte" und irreführende Informationen zielten darauf ab, die Reform zu torpedieren. Man werde keinesfalls die Euthanasie fördern. Wichtig sei aber, dass die Bürger alle Fakten kennen würden. Genau dies sehen Kritiker aber auch als Problem Obamas. Zahlreiche Abgeordneten räumten zuletzt ein, immer noch nicht über alle Details informiert zu sein oder den umfangreichen Gesetzentwurf vollständig gelesen zu haben. Zudem sind, wie jetzt eine Umfrage der Rasmussen-Meinungsforscher ergab, derzeit 68 Prozent der Amerikaner mit den Leistungen ihrer Krankenversicherung zufrieden - und fürchten, durch eine Reform und größeren staatlichen Einfluss mehr zu verlieren als zu gewinnen. Nur 19 Prozent sehen das derzeitige System als schlecht an - was die Hürde für Obama, die Reform schnell durchzusetzen, höher setzt. Zudem droht eine weitere Eskalation der Debatte: Obama nahestehende Gewerkschaftsvertreter kündigten jetzt an, Mitglieder zu künftigen "Town Hall"-Terminen zu schicken, um dort "mit aufgekrempelten Ärmeln" konservative Demonstranten zu konfrontieren. "Das klingt," so kommentierte jetzt das "Wall Street Journal", "nicht nach einem Friedensangebot."

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