Giftgas wahrscheinlich - auf beiden Seiten

TRIER. Wird Saddam Hussein Giftgas im Krieg einsetzen? Besteht die Gefahr terroristischer Angriffe mit Viren? Darüber sprachen wir mit dem Hamburger Bio-Waffen-Experten Jan van Aken.

Wie groß schätzen Sie das Arsenal an Bio- und Chemie-Waffen im Irak ein? van Aken : Das ist schwer zu sagen. Der Irak hatte bis 1991 solche Waffen. Das wurde durch die UN-Inspektoren in den 90-er Jahren und jetzt auch wieder bestätigt. Es ist aber absolut unklar, ob danach neue Bio- oder Chemiewaffen produziert wurden. Es gibt jedenfalls nach den jüngsten Inspektionen keinerlei Hinweise darauf, was aber natürlich nicht heißt, dass der Irak nicht doch über solche Waffen verfügt. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß, aber sie ist da. Wie ist der Irak überhaupt zur Möglichkeit gekommen, chemische Waffen zu produzieren? van Aken: Das Chemie-Waffen-Programm fing teilweise schon in den 70-er Jahren an. Da wurden mehrere tausend Tonnen Material für verschiedene chemische Kampfstoffe produziert, die dann auch gegen den Iran und die Kurden eingesetzt wurden. Hergestellt wurden die Stoffe in Industrieanlagen, von denen einige auch aus westlichen Ländern stammen. Und wie sieht es mit Bio-Waffen aus? van Aken: Das waren Eigenentwicklungen des Irak. Dazu wurden auch Geräte benutzt, die zum Beispiel für die Impfstoff-Produktion aus dem Westen importiert worden waren. Die Erreger selbst wurden im Ausland eingekauft, der Milzbrand-Erreger zum Beispiel in Amerika. Es gibt einen weltweiten Handel mit Bakterien für die medizinische Forschung. Bereits im Golf-Krieg 1991 gab es ja zumindest Anzeichen, dass chemische Kampfstoffe gegen US-Soldaten eingesetzt wurden. Wird der Irak jetzt eventuell wieder Chemie-Waffen einsetzen, wenn sich die US-Truppen nähern? van Aken: Offiziell wurde es nie nachgewiesen, dass der Irak 1991 chemische Waffen eingesetzt hat. Und selbst wenn diese Kampfstoffe damals freigesetzt worden sein sollten, ist nicht klar, ob sie von Saddam Hussein aktiv eingesetzt wurden, oder ob sie bei der Sprengung von Bunkern durch die Amerikaner in die Luft gelangt sind. Ich vermute, Hussein hat damals kein Giftgas eingesetzt, das wäre sein Ende gewesen. Und wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? van Aken: Hussein weiß, dass es ihm so oder so an den Kragen geht. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass er, wenn die US-Truppen in Bagdad einmarschieren und er weiß, dass sein Ende gekommen ist, zum letzten Mittel greifen und Chemie- und Biowaffen einsetzen wird. Vorher wird er das nicht tun. Die Frage ist aber, ob er überhaupt über diese Waffen verfügt und wenn ja, in welchen Mengen. Werden die USA, wie Sie sagen, auch zum ,letzten Mittel' greifen und biologische oder chemische Waffen einsetzen? van Aken: US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat ja bereits vor vier Wochen angekündigt, Chemie-Waffen einzusetzen und zwar so genannte nicht tödliche Gase. Bush hat offensichtlich die Ermächtigung dazu erteilt. Das wäre natürlich wieder ein offenkundiger Verstoß gegen das Völkerrecht. Auch Terroristen sollen chemische und biologische Waffen besitzen. Wie groß ist die Gefahr? van Aken: Gering. Es ist zwar überhaupt kein Problem, dass sich Terroristen irgendwelche Giftstoffe besorgen. Nur kann damit kein großer Schaden angerichtet werden. Eine Handgranate ist gefährlicher. Dieser Horror mit Pocken und 60 Millionen Toten ist völlig aus der Luft gegriffen. Wenn es den Terroristen um Tote und spektakuläre Bilder geht, dann nehmen sie Sprengstoff. Wie lange wird der Krieg dauern? van Aken: In vier Wochen ist der offizielle Krieg vorbei. Dann geht ein jahrelanger Kleinkrieg los, weil viele Iraker mit der amerikanischen Besetzung nicht einverstanden sein werden. Die USA können sich auf einen echten Guerilla-Krieg einstellen. Das Interview führte unser Redakteur Bernd Wientjes

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