Giftspritze für einen Nobelpreis-Kandidaten?

SAN QUENTIN/KALIFORNIEN. Durch Bücher, die zu Bestsellern wurden, ist ein farbiger Amerikaner aus der Todeszelle heraus weltweit bekannt geworden. Der Verurteilte soll am 13. Dezember durch eine Giftspritze hingerichtet werden. Sein Leben liegt nun allein in der Hand des kalifornischen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger.

Die Matratzen in den Todeszellen des kalifornischen Staats-Gefängnisses St. Quentin sind ungewöhnlich dünn. Doch der 51-jährige Stanley Williams hat aus dieser Not eine Tugend gemacht. Jeden Morgen rollt er die Schlafunterlage zusammen und bindet sie mit Tüchern fest. Dann stellt er sie aufrecht und nutzt sie als Stuhl. Als Schreibtisch dient dem bedächtigen, untersetzten Farbigen mit der schmalen Brille das Metall-Bett. So sind in den letzten 15 Jahren ein gutes Dutzend Bücher und sogar ein Fernsehfilm entstanden. Die Werke richten sich vor allem an Kinder und Jugendliche und haben stets eine alles dominierende Botschaft: nicht den Weg einzuschlagen, den Williams als Heranwachsender gegangen ist - ein Pfad, der ihn letztendlich in jenen berüchtigten Zellentrakt brachte, in dem die Todgeweihten des kalifornischen Justizsystems auf ihre Henkersmahlzeit warten. Für Williams, den in St. Quentin die Mithäftlinge nur "Tookie" rufen, läuft die Lebens-Uhr unerbittlich ab. Am 13. Dezember, also in knapp einem Monat, soll er nach einer Verfügung eines Bezirksrichters in dem Exekutions-Raum vor einem Dutzend Beobachter die Todesspritze erhalten. Nachdem der Oberste Gerichtshof in Washington es im Oktober abgelehnt hat, sich mit dem Fall noch einmal zu befassen, und damit die Hoffnung von Williams auf ein neues Verfahren zerstörte, liegt das Leben des Verurteilten jetzt in der Hand von Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Nur er kann noch eine Begnadigung für den Mann aussprechen, der seit 1979 seine Unschuld beteuert - seit dem Jahr, in dem ihn Detektive wegen des Verdachts festnahmen, zusammen mit weiteren Mitgliedern einer Jugendgang in Los Angeles vier Menschen brutal ermordet und beraubt zu haben. Doch der Angeklagte sieht sich vielmehr als Opfer: Damals hätten ihn andere Kriminelle bewusst belastet, um sich damit Vorteile bei der Polizei zu erkaufen. Und ein faires Verfahren habe er, so argumentieren bis heute seine Anwälte, niemals bekommen: Der Staatsanwalt hatte damals so lange Mitglieder der Geschworenen-Jury ausgesucht, bis diese ausschließlich aus Weißen bestanden. "Wir sind der festen Auffassung, dass dies ein glasklarer Fall für eine Begnadigung ist", argumentierte jetzt Andrea Asaro, eine der für Williams arbeitenden Juristen, in einem Schreiben an Schwarzenegger. Dass ihr Mandant sich für nicht schuldig halte und deshalb logischerweise auch keine Reue zeigen könne, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen. Kinderbücher mit erzieherischem Effekt

Die Anwältin weist zudem nicht nur auf den erzieherischen Effekt der Kinderbücher ihres Mandanten hin, die teilweise zu Bestsellern wurden, sondern auch die Tatsache, dass "Tookie" Williams bereits mehrfach - darunter auch von Schweizer Parlamentariern - für den Friedens- und Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Der größte Teil der Bucherlöse kam zudem Förderprogrammen für sozial benachteiligte Jugendliche zugute. Doch, statistisch gesehen, stehen die Chancen des Muster-Häftlings schlecht, dieses Jahr zu überleben: Kein kalifornischer Gouverneur hat einen Todeskandidaten begnadigt, seit Ronald Reagan im Jahr 1967 in letzter Minute die Hinrichtung eines als geisteskrank geltenden Mörders aussetzte. Und Arnold Schwarzenegger hat während seiner Amtszeit bereits zweimal einen Gnaden-Appell von Verurteilten abgelehnt. Nicht jeder verfolgt allerdings die Bemühungen um eine Aussetzung der Exekution so engagiert wie beispielsweise die Führung der amerikanischen Farbigen-Organisation NAACP und die US-Bürgerrechtsbewegung ACLU. Wenig Sympathien erntet der vom Chef der berüchtigten "Crips"-Jugendbande zum nimmermüden Mahner gewandelte Häftling von jenen Gruppen in den USA, die sich für die Rechte von Verbrechensopfern einsetzen. "Unser wichtigstes Ziel ist es, zu verhindern, dass Killer zu Berühmtheiten werden", kritisiert Jan Miller, Präsidentin der Organisation "Bürger gegen Mord". "So etwas darf nicht sein, weil es die Opfer völlig aus dem Rampenlicht drängt." Auch das tadellose Verhalten und die Jugendarbeit des Verurteilten wögen nicht die Schwere der Verbrechen auf, die dem Todeskandidaten vorgeworfen werden, so Miller. Unterstützung erhält sie unter anderem von Gene Hetzel, einem jener Polizisten, die als Mitglieder der Mordkommission die Bluttaten untersuchten, für die "Tookie" Williams verurteilt wurde. Der heute pensionierte Hetzel sagt: "Niemand redet heute mehr über die Opfer." Zu ihnen zählen der zweifache Vater Albert Owens, der bei seiner Supermarkt-Nachtschicht durch zwei Schüsse in den Rücken getötet wurde, nachdem er bereits 63 Dollar Bargeld herausgegeben hatte. Oder ein 65-jähriger Motel-Besitzer, seine 62-jährige Frau sowie eine 42 Jahre alte Tochter. Allesamt Einwanderer aus Taiwan, die sich durch harte Arbeit ihren "American Dream" erfüllen wollten - und durch Feuerstöße aus einem abgesägten Gewehr niedergemetzelt wurden. "Jeder will ein Happy-End", sagt Hetzel heute, "doch in diesem Fall wird es keines mehr geben."

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