Gläubige lesen Kardinälen die Leviten

BERLIN/TRIER. Der Fall Hasenhüttl führt nicht nur im Bistum Trier zu heftigen Diskussionen. Nachdem sich Bundespräsident Johannes Rau in den Streit eingemischt hat, wird die Kirchenangelegenheit zum Politikum.

Auch fromme Menschen können heftig zanken: In der katholischen Kirche ist der Glaubensstreit über die Bewertung des ökumenischen Kirchentages Ende Mai in Berlin eskaliert. Gleichzeitig ist der Fall Hasenhüttl zum Politikum geworden, in dessen Zentrum Bundespräsident Johannes Rau steht. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sah sich am Mittwoch jedenfalls veranlasst, dem höchsten Glaubenshüter des Vatikans, Kardinal Joseph Ratzinger, in scharfer Form die Leviten zu lesen. Der Kardinal scheine nur wahrzunehmen, "was seine bekannten Vorurteile bestätigt". Ratzinger hatte der Koblenzer "Rhein-Zeitung" ein Interview gegeben, in dem er das Zentralkomitee attackiert und den ökumenischen Kirchentag abschätzig bewertet.Dem Geist des Glaubens nur selten begegnet

Vom ZdK habe er "noch nie ein Wort der Glaubensfreude gehört", gab der Kardinal kund, und überhaupt sei ihm der "Geist des Glaubens" in der Laienorganisation "selten begegnet". In herabsetzender Weise bezeichnete Ratzinger den Kirchentag zudem als "konturenlos", obwohl er zugab, das Massentreffen der Christen "nur ganz aus der Ferne gesehen" zu haben. Zum Fall Gotthold Hasenhüttl - der Saarbrücker Theologieprofessor hatte auf dem Kirchentag trotz päpstlichen Verbots die Eucharistie auch für Protestanten zelebriert und ist deshalb vom Trierer Bischof Reinhard Marx suspendiert worden - sagte der Kardinal, die Kirche könne "nicht einfach tun, was sie will". Was Hasenhüttl von sich gegeben habe, sei "nicht der katholische Glaube". ZdK-Präsident Professor Hans Joachim Meyer war dem Vernehmen nach empört über die Äußerungen des Kardinals, die er als "dreist" empfand. In einer zweiseitigen Stellungnahme warf er Ratzinger (und dem Kölner Kardinal Joachim Meisner) vor, den Kirchentag durch "ökumenischen Missmut" herunter reden zu wollen. Damit brüskierten die beiden hohen Würdenträger nicht nur die über 200 000 Teilnehmer des Kirchentages, sondern auch mehr als 40 Bischöfe und Kardinäle, die das Treffen in Berlin maßgeblich mitgestaltet hätten. Scharf ging Meyer auch mit dem als erzkonservativ geltenden Kardinal Meisner ins Gericht. Der Erzbischof hatte in der Würzburger "Tagespost" die Behauptung aufgestellt, der Kirchentag habe zu einer "Desorientierung" in den Gemeinden geführt. Meyer warf Meisner daraufhin vor, mit pauschalen Vorwürfen gegen den deutschen Katholizismus zu wettern und dabei selbst "seine bischöflichen Amtsbrüder kritisch zu attackieren". Bereits im Vorfeld des Kirchentages sei Meisner auf Distanz gegangen, und nun versuche er, "die Wirklichkeit von Berlin zu korrigieren". Tatsächlich sei der Kirchentag ein Fest christlicher Glaubensfreude gewesen, aber leider gebe es auch Katholiken, "die einen solchen Erfolg nicht wollten". Zur Begründung der ungewöhnlich heftigen Kritik an den Kardinälen war am Mittwoch im ZdK zu hören, "dass wir uns wehren mussten". Es sei offenbar geworden, dass "gewisse Kreise" versuchten, das Berliner Ereignis "umzudeuten". Zum Fall Hasenhüttl hieß es im ZdK, leider sei es zu der bedauerlichen Zuspitzung gekommen. Am Sonntag hatte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, die Kritik von Bundespräsident Rau an der Suspendierung des Priesters ("schreckliche Maßregelung") energisch zurück gewiesen. Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee hatte Raus Äußerung sogar als "taktlos, ahnungslos und kompetenzlos" bezeichnet. Nach Angaben des Bundespräsidialamtes will sich Rau nun mit Lehmann zu einem klärenden Gespräch treffen.

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