Griff in des Bürgers Tasche

BERLIN. Immerhin, das Klima schien prima: "So gut wie heute war die Stimmung noch nie", schwärmte der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller nach dem Spitzentreffen zum Thema Gesundheitspolitik im Kanzleramt.

Unter Leitung von Hausherrin Angela Merkel (CDU) hatten führende Vertreter der großen Koalition am Donnerstagabend erneut über den Reformbedarf im Gesundheitswesen gebrütet. Nun rückte zum ersten Mal die künftige Finanzstruktur in den Mittelpunkt. Und spätestens an dieser Stelle wird es auch für die Versicherten spannend. Dass der Bürger für seine Gesundheit künftig tiefer in die Tasche greifen muss, ist längst ausgemachte Sache. Aber der Teufel steckt im Detail. Und die Einzelheiten sind noch längst nicht in trockenen Tüchern. Jedenfalls gab sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gestern vor Journalisten immer dann wortkarg, wenn es konkret werden sollte. "Vor Ausbruch des wirklichen Sommers werden sie auch die Einzelheiten erfahren", tröstete Schmidt. Damit bestätigte die SPD-Politikerin zumindest den Fahrplan, wonach die Eckpunkte der Reform bis Anfang Juli vorliegen sollen. Und noch etwas wurde bei ihrem Auftritt deutlich: Der schon seit April öffentlich diskutierte Gesundheitsfonds hat beste Chancen, zum schwarz-roten Allgemeingut zu werden. In den jüngsten Arbeitsgruppensitzungen zur Vorbereitung des Treffens im Kanzleramt hatten sich sowohl Merkel als auch Schmidt dafür stark gemacht. Der Grund ist simpel: Das Fonds-Modell vereint Elemente der Bürgerversicherung und der Kopfpauschale, die für sich genommen in der großen Koalition nicht mehrheitsfähig sind. So kann die SPD auf die Einbeziehung von Kapitaleinkünften verweisen, während sich die Union in den einheitlichen Beiträgen (Pauschalen) an die Kassen wieder findet. Ihr Experte Zöller meinte gestern, bei der Fondslösung gehe es nicht um "dafür oder dagegen", sondern um die "Ausgestaltung". Dem Vernehmen wurden dazu mehrere Fonds-Varianten erörtert, ohne sich schon auf ein bestimmtes Modell festzulegen. So könnten in die künftige Finanzierung Kapitaleinkünfte oder zusätzliche Steuern einbezogen werden. Oder beides. Das würde die Lohnnebenkosten in Grenzen halten.Ohne Finanzreform müssten Beiträge steigen

Denkbar ist auch, dass die Arbeitgeber einen bestimmten Prozentanteil der Lohnsumme des Unternehmens an den Fonds abführen. Das bedeutet nicht nur Mehreinnahmen für die Assekuranzen, sondern auch weniger Bürokratie in den Betrieben. Denn bislang werden für jeden Mitarbeiter je nach Kasse unterschiedliche Beiträge fällig. Ohne Finanzreform, das ist allen Beteiligten klar, würden die Beiträge schon im kommenden Jahr um bis zu 0,8 Prozentpunkte steigen. Der Mehrbedarf resultiert unter anderem aus den steigenden Preisen für Medikamente und der bislang verabredeten Kürzung des Steuerzuschusses. Heute liegt der durchschnittliche Satz bei 13,3 Prozent. Er wird hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Seit zwei Jahren zahlt der Versicherte darüber hinaus einen Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent. Unklar ist bislang, ob und in welcher Größenordnung der Arbeitgeberbeitrag eingefroren werden soll. Auch die Einbeziehung der Privaten Krankenversicherung steht noch in den Sternen. Zur Klärung dieser kniffligen Probleme bleiben Union und SPD nur noch knapp vier Wochen Zeit. Am übernächsten Sonntag will die Spitzenrunde im Berliner Kanzleramt erneut über den Zwischenstand beraten.

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