"Guck da nicht rein"

OSANN-MONZEL. Völlig verängstigt und aufgewühlt warteten am Mittwochmorgen rund 30 Schüler aus Osann-Monzel auf die Polizei: Am Gebälk des Bushaltehäuschens hatte sich ein 19-jähriger Mann erhängt.

"Ich habe zwei Kinder im Haus, die sehen jetzt überall Tote hängen", beschreibt eine Mutter den Schock, den ihre beiden Mädchen erlitten haben. Sie gehören zu der Gruppe von Schülern aus Osann-Monzel, die am Mittwochmorgen den Leichnam eines 19-jährigen Mannes vom Gebälk im Bushaltehäuschens baumeln sahen. "Ich bin nicht im Stande, die beiden noch mal zu der Haltestelle zu bewegen", sagt die Mutter. Der Schrecken sitzt tief. "Wir haben noch zu den anderen gesagt, guckt da nicht rein", erinnert sich Julian. Zusammen mit seinen beiden Schwestern war der 13-Jährige vorgestern als erster an der Haltestelle: "Ich habe mich reingesetzt, dann habe ich auf einmal gesehen: Da hängt jemand." Wenige Zentimeter über dem Boden baumelte der Leichnam eines 19-Jährigen. "Der war schon ganz bleich, der Kopf hing weit nach hinten und seine Haare haben geglänzt", beschreibt der 13-Jährige. Geistesgegenwärtig lief Julian zusammen mit seinen Freunden in den gegenüber liegenden Lebensmittelladen. "Erst habe ich gedacht, die machen einen schlechten Streich. Aber die Kinder waren total blass", sagt der Geschäfts-Inhaber, der dann die Polizei verständigte. Alarmiert von ihrer Tochter traf kurz darauf auch Julians Mutter an der Haltestelle ein: "Die Kinder waren total aufgewühlt, Ältere haben die Jüngeren gestützt und getröstet." Fast eine halbe Stunde habe es gedauert, bis die Beamten eingetroffen waren, beklagen einige Eltern in der Moselgemeinde. "Das ist der typische Warte-Reflex. Wenn man unter dem Eindruck eines tragischen Erlebnisses steht, kommt einem die Zeit ewig vor", sagt der Leiter der Kriminalpolizei Wittlich, Paul Wehner. Die Beamten seien gleich nach dem Anruf losgefahren und eine knappe Viertelstunde später vor Ort eingetroffen. Der Leichnam wurde abgehängt und in den Notarztwagen gelegt, um weiteren Kindern den grausigen Anblick zu ersparen - direkt gegenüber von der Haltestelle ist auch eine Grundschule. Nach Auskunft der Schulleiterin haben die Grundschüler glücklicherweise aber nur noch das Polizeiauto gesehen. Für die meisten Fahrschüler hingegen war am Mittwoch an Unterricht nicht zu denken. "In den Schulen haben die Lehrer sehr rücksichtsvoll reagiert", hebt Julians Mutter hervor. Wie viele andere Mütter hat sie gestern mit ihren Kindern gemeinsam auf den Bus gewartet: "Die älteren Jungs haben sich schon wieder vor das Häuschen gestellt, reingetraut hat sich niemand." Warum sich der 19-Jährige ausgerechnet an der Haltestelle erhängt hat, ist unklar. Am Dienstagabend war der junge Mann noch bei einem Freund in Osann zu Gast. "Da war alles ganz normal. Wir haben zusammen noch mit drei anderen Kumpels ein Bier getrunken. Dann wollte er nach Ehrang fahren." Ob er dort je ankam, kann der Freund nicht sagen. Nachts sei der 19-Jährige noch in Osann gesehen worden. "Das hab' ich am nächsten Tag im Dorf erzählt bekommen." Vor einigen Wochen soll die Beziehung des 19-Jährigen zerbrochen sein, seither habe er bei verschiedenen Bekannten übernachtet. Nach Auskunft einiger Kinder lagen in dem Bushaltehäuschen auch persönliche Papiere des 19-Jährigen - darunter auch ein Kündigungsschreiben. Der Freund des Verstorbenen ist ratlos: "Warum er das getan hat, kann ich mir nicht erklären. Selbstmord ist doch kein Ausweg. Ich denke immer noch, morgen sitzt er wieder hier."

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