Guido, der König der FDP

Berlin . Als Guido Westerwelle am Sonntagabend endlich vor die Kameras tritt, bricht in der FDP-Zentrale frenetischer Beifall aus. Die FDP sei "der Wahlsieger des Tages", verkündet der Parteivorsitzende, von lautem Applaus unterbrochen. In der Tat verzeichnen die Liberalen eines der besten Wahlergebnisse ihrer Geschichte.

Wie ein gewaltiger Orkan bricht sich die Emotion Bahn: "Hey, hey, hey, hey..." - die ohrenbetäubenden, rhythmischen Jubelgesänge, begleitet von einem rauschenden Beifall, wollen schier nicht enden. Sekunden zuvor waren nach einem lauten Countdown - "Sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins" - vor den im Berliner Thomas-Dehler-Haus zur liberalen Wahl-Party versammelten Menschenmenge die ersten Zahlen der Demoskopen über die Bildschirme geflimmert: 10,5 Prozent für die FDP! Die sonst so gesittet auftretenden Liberalen sind buchstäblich von der Rolle."Nee, das glaube ich nicht!"

Gejohle, Gekreische. "Jetzt ist der Guido der König der Liberalen": Die Begeisterung des Berliner FDP-Chefs Markus Löning kennt keine Grenzen. "Angela Merkel und Edmund Stoiber müssen sich warm anziehen." Und sein Nebenmann ergänzt kämpferisch: "Nun wissen wir, wo die politischen Leichtmatrosen in Deutschland sitzen."

Schon gegen 17 Uhr kursieren in der festlich blau-gelb geschmückten Bundeszentrale der FDP die Informationen, dass die Union mächtig abgestürzt sei und die FDP bei über zehn Prozent liege. Die Meinungsforscher von Infratest-Dimap und Forsa hätten das am Wahlsonntag ermittelt. Manche der versammelten Freidemokraten quittieren das mit ungläubigem Staunen: "Nee, das glaube ich nicht", sagt Mark Stanitzki von den jungen Liberalen. "Aber wir haben ohne Frage einen Superwahlkampf hingelegt, sowohl von den Inhalten als auch vom Einsatz unserer Spitzenpolitiker."

Alle sind sich einig: Sollte sich das Ergebnis für die FDP bestätigen, wäre das eine Riesenblamage für die Demoskopen, die die Liberalen stets zwischen sechs und höchstens acht Prozent gesehen hatten. Und als dann wie eine Erlösung die Zahlen der ersten Hochrechnung bekannt werden, brandet erneut gewaltiger Jubel auf. Es scheint geschafft, wieder liegt die FDP über der Zehn-Prozent-Marke. Und bald ist klar: Bei dieser Wahl haben die Liberalen ihr bestes Ergebnis seit 1990 erzielt. Bertold Bahner, Chef der Liberalen Senioren: "Das ist der Hammer. Das ist ein unglaublicher Erfolg der Vernunft." Doch bittere Wehmut stellt sich bei vielen rasch ein: Die FDP ist der überragende Wahlsieger dieses Sonntags. Doch für Schwarz-Gelb wird es wohl nicht reichen. "Leider, leider", sagt Rainer Brüderle, der stellvertretende FDP-Chef. Und alle nicken mit den Köpfen.

Dann der Höhepunkt dieses liberalen Abends, der große Auftritt von Guido Westerwelle, der gegen 18.40 Uhr die kleine Bühne im Dehler-Haus zusammen mit anderen Spitzenpolitikern der FDP betritt. Er strahlt wie ein Mondgesicht und hat zunächst keine Chance, zu Wort zu kommen. "Meine Damen und Herren..." - seine Sätze gehen in Jubel unter. Eine Minute später ein neuer Anlauf. Sieben Mal wiederholt sich die Szene. Endlich kann der Oberliberale reden: "Ich freue mich." Wieder ohrenbetäubender Jubel. Dann spricht Westerwelle von einem "der besten Ergebnisse in der Geschichte der FDP" und davon, dass die Partei jetzt feste feiern dürfe.

Derweil erklärt Jörg van Essen, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP in jedes Mikrofon, das ihm unter die Nase gehalten wird: "Eine rot-grün-gelbe Ampel wird es mit uns nicht geben. Wir wollen eine schwarz-gelbe Koalition."

Parteichef besteht Bewährungsprobe

Die Liberalen, die von 1969 bis 1998 in wechselnden Koalitionen unter drei Kanzlern ohne Unterbrechung in Bonn und Berlin mitregierten, hatten in den vergangenen Jahren manche politischen Häutungsprozesse durchgemacht und viele Turbulenzen überstehen müssen. Seit Mai 2001 ist Guido Westerwelle (43) FDP-Chef, Herr über knapp 65 000 Parteimitglieder. Unter Westerwelles geschmeidiger Führung haben es die Liberalen geschafft, wieder ins Europaparlament einzuziehen. Sie sind heute an fünf Landesregierungen beteiligt, sitzen in elf der 16 Landtage und konnten bei fast allen Wahlen zulegen. Außer in diesem Jahr in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, wo die FDP zwar wieder in die Parlamente einzog, aber durch hausgemachte Dusseligkeiten an Stimmen leicht verlor. Hätte die FDP es gestern nicht "gewuppt", Guido Westerwelles Tage als Parteichef wären gezählt gewesen. Er selbst hatte mehrfach gesagt, "die nächste Wahl ist meine persönliche Bewährungsprobe".

Der FDP-Chef hat sie mit Bravour bestanden. Egal, was die nächsten Tage an koalitionspolitischem Tauziehen noch bringen werden.

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