Gute Laune im Wahlkampfgetöse

Nicht nur als Bundeskanzlerin, sondern auch als Parteivorsitzende äußerte sich Agela Merkel gestern bei der kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in Berlin.

Berlin. Ulrich Wilhelm sollte sich fürs Guinness-Buch bewerben. Eine Stunde und 45 Minuten schweigend neben der Kanzlerin sitzen und dabei permanent lächeln, das hat noch kein Regierungssprecher geschafft. Wilhelm war sichtlich zufrieden mit dem Verlauf der kurzfristig angesetzten Pressekonferenz gestern in Berlin. Angela Merkel hatte die geplante Botschaft übermittelt: Trotz des Wahlkampfgetöses um die Jugendgewalt arbeiten die Große Koalition und ihre Kanzlerin unbeirrt weiter. Kein Wort von Krise. Merkel, die fröhlich gestimmt in roter Samtjacke erschien, konnte nicht wirklich den Grund für ihren Auftritt nennen, vor allem nicht für den Termin, zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. "Ich habe das jetzt für richtig gefunden, und Sie sind gekommen", meinte sie lapidar. Und grinste. Aber den Journalisten war ohnehin klar, worum es ging. Das Beschwören der eigenen Handlungsfähigkeit. Damit begann die Kanzlerin. Die Koalition habe wichtige Beschlüsse vor sich, 2008 sei sein "entscheidendes Jahr", ja, sogar das "Schlüsseljahr". Denn es gelte, die Ziele der Regierung jetzt in etwas raueren wirtschaftlichen Zeiten umzusetzen: die Haushaltskonsolidierung, die Senkung der Lohnnebenkosten, den Ausbau von Forschung und Entwicklung. Und da sei sie trotz aller Streitereien überzeugt, "dass das Kabinett das tut". Wahlkämpfe seien zwar "nicht die harmonischste Zeit", aber alle seien professionell genug, um damit umzugehen. Merkel wechselte im Lauf der Pressekonferenz mehrfach den Titel. Mal sprach sie als CDU-Vorsitzende, dann wieder als Kanzlerin. Sie räumte diesen Spagat auch offen ein. Etwa, als sie erklärte, warum sie denn nicht zusammen mit Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) auftrete. So einen Termin solle es später geben. "Jetzt werde ich doch sehr stark als Parteivorsitzende gefragt, und wir wollen nicht hier auf der Bühne den Wahlkampf miteinander diskutieren." Von Roland Kochs Kampagne rückte die hier nun also als CDU-Kanzlerin zu kennzeichnende Regierungschefin die ganzen 105 Minuten nicht ab, von der Großen Koalition aber auch nicht. Für sie ist der scharfe Streit um die Jugendkriminalität halb so schlimm. Es sei doch normal, dass die Parteien in Wahlkämpfen ihre Position darstellten. Die Union fordere schon lange ein härteres Jugendstrafrecht. Die SPD habe das immer abgelehnt. Nun komme das Thema eben wieder auf die Tagesordnung. Auch der Stil der Auseinandersetzung, in der SPD-Fraktionschef Peter Struck schon mal sagte, die Union könne ihn mal, besorgt die Kanzlerin nicht. "Ich gucke mir das alles an, mal gespannter, mal entspannter." Dass die Bürger es als abstoßend empfinden könnten, wenn zwei Regierungspartner so aufeinander eindreschen, glaubt sie ebenfalls nicht. Immerhin seien SPD und CDU jetzt wieder besser voneinander unterscheidbarer. "Manchmal ist man auch ganz froh, wenn man wieder als Parteipolitikerin sprechen kann". Merkel fühlt sich also wohl. Zum ersten Mal sprach sie auch offen über die Besonderheit, als Frau im höchsten Amt zu sein. Was sie zu den USA sage, wo wegen Hillary Clinton über das Thema diskutiert werde, wurde Merkel gefragt. "Nun, die Debatte haben wir jedenfalls hinter uns", antwortete sie trocken. Das gefiel Regierungssprecher Wilhelm besonders, wie man seinem noch einmal gesteigerten Lächeln ansah. Ob Wilhelm bei der Veranstaltung einen Wangenkrampf davontrug, ist nicht bekannt.

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