Hans, der Gedopte

BERLIN. Hans Eichel redet und redet, als ob er sich mit Worten befreien will. Von den finanz- und haushaltspolitischen Sorgen etwa, die mit den Ergebnissen der Steuerschätzung von gestern noch dramatischer geworden sind. Oder von den Forderungen der Opposition, er solle angesichts des neusten Kassendebakels seinen Hut nehmen.

126 Milliarden Euro fehlen Bund, Ländern und Gemeinden bis 2006 - dieses Ergebnis der gestern veröffentlichten Steuerschätzung hat selbst die Fachleute im Finanzministerium überrascht. Doch Hans Eichel vermittelt an diesem für die rot-grüne Regierung besonders schwarzen Donnerstag nicht den Eindruck, er sei am Tiefpunkt angelangt. "Sie sehen mich kampfeslustig", sagte der Minister bei seiner Pressekonferenz.Der Finanzchef redet sich die Rolle des Buhmanns vom Leib. Das Büßerhemd von Anfang der Woche, als er reumütig und mit Dackelblick all seine Versprechungen für nicht einhaltbar erklärte, hat der Hesse ausgezogen. Er guckt wieder entschlossen wie früher, als ob der Kanzler ihm einen Vitamincocktail gemixt hätte. Am Mittwoch telefonierten Eichel und der in Asien weilende Schröder miteinander, der Niedersachse wird seinen Parteifreund nicht zusammengestaucht, sondern verbal gedopt haben.So wirkt der Genosse jedenfalls. "Sie werden von mir keine Geschichte des angekündigten Rücktritts hören", antwortet er gelöst auf die Frage, ob er sein politisches Schicksal denn wenigstens an die Einhaltung der EU-Defizitgrenze 2004 knüpfe. 2003 hat Eichel ja bereits abgehakt, das kommende Jahr ist nun als maßgeblich ausgerufen worden. Weil ansonsten eine satte Strafe der EU unausweichlich wäre.Deutsche Wirtschaft am Rande der Rezession

Hans will wieder aufstehen. Und ausgerechnet die Hiobsbotschaften aus Lübbenau im schönen Spreewald, wo der Schätzerkreis einige Tage gerechnet hat, sollen ihm dabei helfen. Wichtige Haushaltsziele sind dahin, das bringt Rot-Grün zweifellos in die nächste Bredouille. Neue Schulden müssen her, und davon jede Menge.Allein 2003 werden die Steuerausfälle aller Haushalte 8,7 Milliarden Euro betragen. Während Eichel weiter an einem Wachstum von 0,75 Prozent festhält, ist das Statistische Bundesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass die deutsche Wirtschaft am Rande einer Rezession steht. "Katastrophengemälde machen keinen Sinn", sagt der Minister zwar abwehrend. Um eine klare Botschaft hinterher zu senden: "Womit wir es jetzt zu tun haben, ist eine ganz andere Nummer", umschreibt er die neue Dramatik durch die neue Steuerschätzung. Deshalb: keine Kursänderung, es muss noch unbeugsamer gespart werde, eine "gemeinsame Kraftanstrengung" aller statt "Verteilungskämpfe" - Eichel, der Energische.Der Hesse kämpft um sein Sanierer- und Sparer-Image. Der Mann kündigt ein Leistungsmoratorium - also jeglichen Verzicht von Mehrausgaben - im Bundesetat für den Rest der Wahlperiode bis 2006 an. Subventionen will er streichen. Nicht Steuern, sondern Kosten sollen gesenkt werden - Einzelheiten verschweigt der Minister jedoch, nicht schon wieder sollen seine Pläne zerredet oder von der Union instrumentalisiert werden. Alles, "was wir in den Bundesrat gebracht haben" und das dort gescheitert ist, soll aber wieder ins Gesetzgebungsverfahren kommen. Prognosen wagt der Hesse nicht, wann nun ein ausgeglichener Haushalt vorliegen könnte. "In die Falle tappe ich nicht noch mal", meint Eichel diesmal kurz. Nachdem er sich vorher wortreich von sich selbst überzeugt hat.

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