Harmonie in Rot(h) und Grün

KIEL. Claudia Roth und Reinhard Bütikofer tragen einen Leuchtturm auf dem Kopf. Der Rest des frisch gewählten Vorstands schüttelt sich vor Lachen über dieses Geschenk. Sonnenblumen werden geschwenkt, der Saal erhebt sich geschlossen zum Applaus. Die Szene steht symbolisch für den Kieler Grünen-Parteitag.

Wohl noch nie waren die Ökos so mit sich im Reinen wie bei ihrem Parteitag in Kiel. Wahlerfolge satt. Das sorgt für Selbstbewusstsein. Auch die Parteilinke weiß längst um den publikumswirksamen Wert von Eintracht und Harmonie. In früheren Zeiten hatte der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele noch eine heftige Debatte über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer angezettelt. Diesmal ist er schon über einen zahnlosen Beschluss hoch zufrieden - konkrete Vorschläge für eine Reichen-Abgabe werden auf den nächsten Parteitag vertagt. Die Aufforderung zur Aufmüpfigkeit kommt ausgerechnet von einer CDU-Politikerin: "Querdenken ist angesagt." Mit ihrem Grußwort preist die Kieler Bürgermeisterin Angelika Volquartz die Vorzüge der schwarz-grünen Stadtregierung. Das passt nun überhaupt nicht ins Drehbuch der Veranstaltung. So gut es in Kiel laufe, so schlecht sei das mit der CDU im Land, ruft Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Klaus Müller dem Parteivolk zu. Im kommenden Februar finden in hier wichtige Landtagswahlen statt. Da dürfen die Feindbilder nicht durcheinander geraten. Überhaupt geht es um die "grundsätzlichen Alternativen". Das hämmert Außenminister und Übervater Joschka Fischer der Basis ein. Die "anderen" kämen mit der "Kettensäge" und wollten den Sozialstaat "zertrümmern". Um das zu verhindern, gibt Fischer gar "den Startschuss" zum nächsten Bundestagswahlkampf. Andere Grünen-Promis spielen auf der gleichen Klaviatur: "Die strategische Aufstellung lautet Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb", dröhnt der alte und neue Co-Vorsitzende Bütikofer ins Mikrofon. Dass sich die Grünen 2006 womöglich in die Opposition hinein siegen, während einer gerupften SPD immer noch der Gang in die große Opposition bleibt, wischt Fischer gereizt bei Seite. Jetzt sei Kämpfen angesagt. "Kämpfen, kämpfen und nochmals kämpfen." Da trifft es sich gut, dass der Parteitag auch ein stark polarisierendes Thema behandelt: "solidarische Bürgerversicherung" kontra "unsoziale Kopfpauschale". Aus diesem Stoff soll der rot-grüne Dauerwahlkampf gegen Union und FDP gewebt werden. Über das konkrete Konzept zur Zukunft der Krankenversicherung herrscht freilich noch viel Unklarheit. Und das ist durchaus gewollt. Einerseits sollen einkommensstarke Bevölkerungsschichten nicht gleich mit Mehrbelastungen verprellt werden. Andererseits lehrt der Kopfpauschalen-Streit zwischen CDU und CSU, dass ein einseitiges Aufbocken in so wichtigen Details wie der Höhe der Beitragsbemessungsgrenze oder beim Schicksal der paritätischen Beitragszahlung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nur Unfrieden mit der SPD stiften kann. Das sehen auch die meisten Delegierten so und stimmen entsprechende Änderungsanträge nieder. Im Protokoll des "harmonischen Jubelparteitages" (Delegiertenspott) sind dann auch lediglich ein paar Schönheitsfehler verzeichnet. Die neue Mit-Vorsitzende Claudia Roth, die den Posten schon einmal inne hatte, wegen einer Satzungsvorschrift über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat aber im Dezember 2002 abdanken musste, fährt in Kiel "nur" 78 Prozent Zustimmung ein - fast 14 Prozent weniger als vor drei Jahren. Da hätten wohl viele Delegierte die zwischenzeitlich abgeschaffte Trennung von Amt und Mandat immer noch nicht verwunden, mutmaßen Parteistrategen. Sei‘s drum.Letzte Zuckungen grüner Urinstinkte

Roth ist die erste Grünen-Chefin, die als Abgeordnete im Bundestag das Wort ergreifen kann. Damit ist sie auch eine Konkurrenz für die Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Karin Göring-Eckardt, die den Wiedereinzug in den grünen Parteirat nur mit je knapp über 50 Prozent der Delegierten-Stimmen schaffen. "Das sind immer noch Vorbehalte gegen unsere gute Fraktionsarbeit", ärgert sich die Bundestagsabgeordnete Thea Dückert. Vielleicht handelt es sich ja auch nur um die letzten Zuckungen grüner Urinstinkte…

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