Hauptstadt im Gerüchtefieber

Berlin . Dementi von der Staatsanwaltschaft: Die Berliner Fahnder haben erklärt, im Verfahren gegen einen osteuropäischen Menschenhändlerring nicht gegen Bundestagsabgeordnete oder Regierungsmitglieder zu ermitteln. Die Gerüchteküche brodelt unterdessen munter weiter.

Wilhelm Schmidt, erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, ist die Angelegenheit unter die Haut gegangen. Ein Abgeordneter seiner Fraktion, berichtete er gestern, sei in einer E-Mail mit "ominösem Absender" beschuldigt worden, Leistungen von Prostituierten in Anspruch genommen zu haben. Er stünde, habe der Verfasser weiter geschrieben und gedroht, auf der vermeintlichen Liste von knapp 40 Politikern, die angeblich Kontakte zu dem kürzlich aufgeflogenen osteuropäischen Zuhälterring gepflegt hätten. Zu den Menschenhändlern soll auch der Fernseh-Talkmaster Michel Friedman Beziehungen gehabt haben. In der Nachricht, sagte Schmidt weiter, sei der Kollege zum Rücktritt aufgefordert worden. Der Abgeordnete habe versichert, dass an den Vorwürfen nichts sei. Die Hauptstadt liegt im Gerüchtefieber - wie vor knapp drei Jahren, als ein Sat.1-Team herausgefunden haben wollte, dass Parlamentarier auf den Toiletten des Reichstages koksen würden. Die Geschichte entpuppte sich als heiße Luft. Nun kursieren in Berlin seit Tagen ganz andere Spekulationen, und zwar im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Michel Friedman und einen ukrainisch-polnischen Menschenhändlerring. Danach sollen bei Abhörmaßnahmen gegen die Ostereuropäer auch knapp 40 Anschlüsse des Bundestages registriert worden sein. Belegt ist das bislang nicht. Die Abgeordneten geraten dennoch zunehmend in Bedrängnis. Und wehren sich nun.Große Empörung im politischen Berlin

Nach Informationen unserer Zeitung forderte nicht nur die SPD-Fraktion, sondern auch das Präsidium des Bundestages die Berliner Staatsanwaltschaft gestern vehement auf, ihren angeblichen Behauptungen "Beweisbares" folgen zu lassen. Heute will sich der Ältestenrat des Parlaments mit dem Vorgang beschäftigen. Die Behörde beeilte sich daraufhin zu betonen, dass sie im Verfahren gegen den Zuhälterring nicht gegen Parlamentarier oder Regierungsmitglieder ermittle - für solch ein Vorgehen hätte sie sowieso die Zustimmung des Bundestages gebraucht. Ebenso wenig seien solche Personen als Zeugen ermittelt oder vernommen worden, so ein Sprecher. Dennoch - im politischen Berlin ist die Empörung groß. "Es gibt offiziell keine Liste", sagte die stellvertretende Bundestagspräsidentin Susanne Kastner (SPD). "Es muss ein Ende haben, dass man den Bundestag jagt, obwohl man definitiv keine Unterlagen hat." Auch Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) sprach von "völlig unbewiesenen Gerüchten, die die Abgeordneten ins schlechte Licht setzen, ohne dass sie sich dagegen wehren können". Nach Ansicht von Wilhelm Schmidt muss die Strafverfolgungsbehörde nun unverzüglich dafür sorgen, dass die "Gerüchteküche" gestoppt werde. Rechtlich sei es überdies "nicht verwerflich", die Leistungen von Prostituierten anzunehmen. Sollten für die Art der "Freizeitgestaltung" jedoch Dienstanschlüsse benutzt worden sein, wäre dies nicht korrekt. Zugriff auf Parlamentsanschlüsse hätten nicht nur Abgeordnete, sondern auch ein großer Kreis anderer Personen.

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