Helleres Dunkelfeld

Berlin . Man kann ihn drehen – und hat positive Meldungen wie diese: Die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss ist um 50 Prozent in den letzten Jahren gesunken. Wenn man dann den 700 Seiten starken "Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht" wieder wendet, stößt man auf Negatives.

Immer früher konsumieren Jugendliche Drogen, das Einstiegsalter liegt jetzt bei 16,4 Jahren. Auf die Lesart kommt es halt an. Offiziell lautete die zentrale Botschaft des gestern vorgelegten Berichtes, der nur alle fünf Jahre erscheint, so: "Die innere Sicherheit in Deutschland ist weltweit auf einem sehr hohen Niveau", fassten die zuständigen Minister Wolfgang Schäuble (Inneres, CDU) und Brigitte Zypries (Justiz, SPD) zusammen. In punkto Kriminalitätsbekämpfung zieht die große Koalition also an einem Strang, wie sie demonstrativ zur Schau stellte. Sowohl Schäuble als auch Zypries beruhigten die Bürger, die aus ihrer Sicht einem Trugschluss aufsitzen würden: "Die Menschen denken, es passieren mehr Delikte als tatsächlich passieren", meinte Zypries. Beispiel Sexualmorde an Kindern: 2005 gab es vier Fälle, mit Ausnahme von 2003 (fünf Fälle) lag in den letzten zehn Jahren die Zahl getöteter Kinder bei zwei bis drei im Jahr. Es sind die Medien, glauben die Ressortchefs, die vor allem bei diesem Delikt den Blick verfälschen und damit das allgemeine Sicherheitsgefühl negativ beeinflussen: "Die Wahrnehmung der Medien ist doch ein stückweit anders als die tatsächliche Lage", kritisierte Schäuble indirekt so manche Berichterstattung über Mord, Totschlag oder Erpressung. Der Konstanzer Kriminologe Wolfgang Heinz ergänzte, dass diese Form der Schwerstkriminalität "nicht zugenommen, sondern deutlich abgenommen" habe. Mord und Totschlag sind im europäischen Vergleich in Deutschland am niedrigsten. Auch die Gewalt in der Schule sei rückläufig, so Heinz. Das belegten Statistiken der Versicherungen. Zypries wiederum zeigte sich zufrieden über die Erkenntnis der Wissenschaftler, Statistiker und Sicherheitsbehörden, dass "sich das Jugendstrafrecht insgesamt bewährt hat". Die meisten Jugendlichen verstießen nur kurzzeitig und nicht dauernd gegen Normen, die Rückfallquote sei gering. Nun gibt es allerdings auch Entwicklungen, die nervös machen müssten: So ist die Zahl der Verdächtigen bei Gewaltdelikten um 18 Prozent seit 1999 gestiegen; die Körperverletzungsdelikte und die registrierten Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung haben ebenfalls deutlich zugenommen. Aber auch dafür hatten die Minister eine Erklärung: Nach der Gesetzesänderung zur Gewalt im familiären Bereich habe die Polizei vermehrt automatisch Anzeigen erstattet, erläuterte Zypries. "Dies waren allein im letzten Jahr 7000." Grundsätzlich sei die "Anzeigebereitschaft" der Menschen größer geworden - inzwischen, so die Ministerin, würden ja sogar "Schulhofraufereien" angezeigt werden. Schäuble sprach davon, dass dadurch das "Dunkelfeld aufgehellt" worden sei. Übrigens: Nicht jeder teilte die positiven ministeriellen Einschätzungen zur Sicherheitslage. "Das ist ein Wohlfühlbericht, der zum Teil die Realität nicht widerspiegelt", meinte der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft (GdP), Konrad Freiberg, am Rande des in Berlin stattfindenden Bundeskongresses der Polizisten.

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