Hinter der Autobahn mit dem Schleudersitz raus

OBERKAIL. Knapp eine Woche nach dem Absturz eines Kampfjets vom Typ F-16 nahe der Eifel-Airbase Spangdahlem erhitzt der Unfall weiter die Gemüter. Ein Grund: Bis dato war offenbar nur den wenigsten bekannt, dass es in der Nähe von Militärflughäfen eigens festgelegte "Absturzbereiche" gibt. Nicht einmal die Landesregierung wusste Bescheid. Dabei machen die Amerikaner daraus kein Geheimnis.

Trevor Merrell handelte offenbar ganz nach Vorschrift. Als der 28-jährige Airforce-Pilot am Donnerstagmittag vor einer Woche merkte, dass mit seiner Maschine etwas nicht in Ordnung und eine Landung auf seiner Heimatbase Spangdahlem zu gefährlich war, entschied er sich für den Ausstieg per Schleudersitz. Wie und wo ein solcher "kontrollierter Ausstieg" ("controlled bailout") zu erfolgen hat, ist nicht dem Zufall überlassen, sondern detailliert festgelegt - in einem 71-seitigen Airfield-Operations-Buch. Die neueste Ausgabe, herausgegeben vom Airbase-Kommandierenden, ist gerade einmal ein gutes Jahr alt."...dann macht der Jet, was er will"

Wie beim Militär üblich, gibt es in dem unserer Zeitung vorliegenden Buch für jeden Vorgang auf und um den Spangdahlemer Flugplatz detaillierte Anweisungen - auch für den Fall, dass mal etwas nicht so läuft, wie es laufen soll. Wie bei Trevor Merrell am Donnerstag vor einer Woche.

Was in einem solchen Notfall zu geschehen hat, ist in Kapitel acht ("Emergency Operations") genauestens beschrieben. Selbst der Ort, an dem der Pilot den Schleudersitz auslösen soll, ist mittels Breiten- und Längengrad exakt festgelegt. Wer die Koordinaten in ein entsprechendes Programm eingibt, stößt auf ein nördlich eines kleinen Waldstücks gelegenes Feld zwischen den Eifeldörfern Gindorf, Oberkail und Orsfeld.

Ganz in der Nähe dieses Punktes muss auch F-16-Pilot Trevor Merrell am Donnerstag den Ausstiegsknopf gedrückt haben. Darauf jedenfalls deuten die späteren Fundorte von Cockpithaube und Schleudersitz nahe der Landesstraße L 34 hin. Selbst die Richtung, aus der der "Bailout point" angeflogen werden soll, ist unter Punkt 8.4.2.1. angedeutet: "Versuche, hinter der Autobahn (gemeint ist die A 60) über einem Feld vor dem stark bewaldeten Gebiet auszusteigen", heißt es übersetzt in den Airbase Instructions.

Was anschließend mit dem führerlosen Flieger passiert, ist offenbar weitgehend Glücksache. Fliegt der Jet im Sinkflug geradeaus, kracht er wahrscheinlich im (unbewohnten) Wald zwischen Oberkail und Seinsfeld auf die Erde. Macht die Maschine allerdings anschließend - aus welchen Gründen auch immer - einen Bogen, wird's gefährlich - wie am vergangenen Donnerstag. Wohl nur durch Zufall kam niemand zu Schaden, als die F-16 nur ein paar hundert Meter hinter Oberkail in ein Feld krachte. "Wenn der Pilot erst einmal ausgestiegen ist, macht die Maschine, was sie will", schreibt dazu ein ehemaliger US-Kampfflieger in einem englischsprachigen Internet-Forum für F-16-Piloten.

Für die deutsche Luftwaffe gibt es für derlei Notfallsituationen indes "keine generelle Regelung". Laut Oberstleutnant Hartmut Beilmann vom Pressezentrum Luftwaffe in Köln-Wahn lege die jeweilige Geschwaderführung allerdings Gebiete fest, über denen ein kontrollierter Absturz möglich sei. Dabei handele es sich für gewöhnlich um eine Stelle in unmittelbarer Nähe des jeweiligen Heimatflugplatzes. Gewählt würden Areale, in denen der "geringstmögliche Schaden" entstehen könne, sagte Beilmann auf TV-Anfrage. Dass diese Flächen nicht veröffentlicht würden, verstehe sich von selbst.

Kurios nur, dass die "Ausstiegsorte" der amerikanischen Militärs im Internet zu finden sind, während die deutschen sie offenbar lieber unter Verschluss halten.

Entscheidung fällt in Bruchteilen von Sekunden

Selbst die Mainzer Landesregierung wusste bislang nichts von derartigen Arealen, wie der Mainzer Innenstaatssekretär Roger Lewentz jetzt einräumte. Luftwaffen-Offizier Beilmann spricht derweil von einer "extremen Stresssituation", in der sich Piloten während solcher Notsituationen befänden. "Je nach Lage muss der Pilot in Bruchteilen von Sekunden eine Entscheidung treffen." Zudem gebe es immer Faktoren, die nicht mehr berechenbar seien. Solche Situationen würden am Simulator geübt. "Sie können automatisch ablaufen", erklärte der Experte.

Unterdessen hat sich herausgestellt, dass zwei der vier am Freitag an der Absturzstelle gezogenen Bodenproben kontaminiert sind (der TV berichtete). Danach sind größere Mengen so genannter Mineralölkohlenwasserstoffe ins Erdreich gelangt. Laut Bitburg-Prümer Vize-Landrat Michael Billen wird das Erdreich ausgetauscht, sobald die Amerikaner das Wrack weggeräumt haben. Wie viele Kubikmeter erneuert werden müssen, steht noch nicht fest. Billen: "Es wird gegraben, bis der Boden sauber ist." Die Kosten würden zunächst von der Bundesanstalt für Immobilienfragen übernommen. Danach würden Ansprüche an die Amerikaner beziehungsweise an die Nato gestellt.

Die Ergebnisse der Wasserproben liegen derweil noch nicht vor. Überprüft wurden zwei etwa 250 Meter entfernt liegende Brunnen, von denen einer vom Kreiswasserwerk, der andere von einem Landwirt bewirtschaftet wird.

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