Hoffen und bangen

BERLIN. Pokern bis zur letzten Minute: Im Vermittlungsausschuss gingen gestern die Verhandlungen über Steuerreform und Agenda 2010 weiter. Immer wieder trafen sich die Parteispitzen, um sich gegenseitig Kompromisse abzuringen.

Überlagert von der Nachricht im fernen Irak, die Festnahme des Ex-Diktators Saddam Hussein, kam es am Sonntag Abend im Bundesratsgebäude zu einem beispiellosen Showdown der deutschen Innenpolitik. Das zähe Ringen um das Reformpaket der rot-grünen Bundesregierung erreichte seinen Höhepunkt, als um 17 Uhr die Vorsitzenden der Parteien sowie Bundesaußenminister Joschka Fischer (Die Grünen) auftauchten und aus dem Vermittlungsausschuss kurzerhand ein Gipfeltreffen machten. Bei Redaktionsschluss stand noch nicht fest, ob sich die Streithähne einigen würden. Die Zeichen dafür standen eher schlecht: Maßgebliche Unionsleute taxierten die Chancen eines Kompromisses vor Beginn der Verhandlungen mit "höchstens 40 Prozent". Was Bundeskanzler Gerhard Schröder vorlegen wolle, reiche bei weitem nicht aus. Die Unionsseite und die FDP wussten zu diesem Zeitpunkt schon Bescheid, weil Schröder gegen 14 Uhr die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und danach Guido Westerwelle angerufen hatte, um seine Vorschläge "grob" zu erläutern. Harte Linie der Union

Daraufhin versammelten sich die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder in der bayerischen Landesvertretung, um das Vorgehen zu beraten. Und man legte sich dem Vernehmen nach auf eine harte Linie fest. Wenn Schröder die umstrittene Steuerreform - das Vorziehen der dritten Stufe um ein Jahr soll 15,6 Milliarden Euro kosten - nur zu 25 Prozent per Neuverschuldung finanzieren wolle, sei das schön, aber nicht ausreichend, sagte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller. Das im Raum stehende Angebot, den Ländern für ihren Steuerausfall einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer zu überschreiben, ändere nichts an der Staatsverschuldung. Zudem, so die CDU-Politiker Müller, Volker Kauder (CDU-Verhandlungsführer), und Christian Wulff (Niedersachsen) vor der Sitzung, müsse sich die Gegenseite "substanziell" im Bereich der Arbeitsmarkt-Reformen bewegen. Sonst "wird das heute nichts". Ohnehin war die B-Seite (unionsregiert) sauer, weil Rot-Grün "uns am Donnerstag die Zeit geklaut hat" (Wulff). Den Vorschlag des Kanzlers hätte Finanzminister Hans Eichel schon vor drei Tagen machen können. Dieser Vorwurf ist ebenso berechtigt wie die Klage der A-Seite (SPD-regiert), die Union bewege sich nicht. Offenbar wollen beide Seiten bis zum bitteren Ende pokern. Gegen 20 Uhr trat SPD-Fraktionschef Franz Müntefering zu den Journalisten, um das "großzüge Angebot" des Kanzlers zu loben. Alles war zu diesem Zeitpunkt in der Schwebe, nur eins schien festzustehen: Das Paket von 15 Gesetzen ist nicht mehr zu schaffen. Einige Vorhaben werden verschoben werdenmüsssen.

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