Hohn und Spott für Austrittspapier

London · Vergleicht man den geplanten Brexit mit einem Zug, so hat er an Tempo zugelegt. Frustrierend für Fahrgäste: Niemand weiß so richtig, wohin die Reise eigentlich geht.

London (dpa) Brexit, Brexit, Brexit. Die britische Premierministerin Theresa May dürfte heilfroh sein, wenn sie diese Arbeitswoche hinter sich hat. Das Brexit-Gesetz schaffte am Mittwochabend die erste Hürde im eher EU-freundlichen Parlament. Die Regierung stellte Donnerstag ihre Strategie für die Trennung von der EU vor. Heute ist May auf dem EU-Gipfel in Malta. Auf den ersten Blick läuft alles - doch die Nerven liegen blank, die Regierung taktiert und muss viel Kritik einstecken.
Gespannt hatten viele Parlamentarier auf Mays Strategie-Papier, das sogenannte Weißbuch, gewartet - und wurden enttäuscht. Denn es enthält kaum mehr, als die Regierungschefin bereits in ihrer Grundsatzrede Mitte Januar verkündet hatte. Brexit-Minister David Davis versprach bei der Präsentation der 77 Seiten starken Dokumentation seinen Landsleuten: "Die besten Tage werden noch kommen." Anschließend gab es viel Hohn und Spott für ihn. "Das ist eine Sauerei!", platzte einem Abgeordneten der Kragen.
Besonders ärgerte die Opposition, dass es immer noch keine konkreten Angaben zum Thema Immigration gibt. Welche der etwa drei Millionen EU-Ausländer, darunter viele Osteuropäer, dürfen in Großbritannien bleiben? Wer darf für einen Job noch einreisen? In der Dokumentation gibt es dazu Allgemeinplätze wie: "Wir werden ein Einwanderungssystem schaffen, das es uns ermöglicht, die Zahlen zu kontrollieren und die Klügsten und Besten dazu ermutigt, in unser Land zu kommen." Die Zahl der Deutschen in Großbritannien wird auf etwa 135 000 geschätzt.
Mit großer Mehrheit - 498 zu 114 Stimmen - votierten die Parlamentarier kurz vor der Präsentation des Weißbuchs am Mittwochabend für das Brexit-Gesetz. Zwei Tage lang hatten die Abgeordneten des Unterhauses teils hitzig debattiert; mantrahaft wurde an potenzielle Abweichler appelliert, bloß nicht den Weg für den Austritt aus der EU zu versperren. Außenminister Boris Johnson sprach von einer "historischen Abstimmung", Geschichte sei geschrieben worden. Doch es war nur die erste Hürde.
Nächsten Mittwoch werden die Parlamentarier erneut abstimmen. Dann muss der Gesetzentwurf noch das Oberhaus passieren. Er soll bis zum 7. März durch beide Kammern gepeitscht werden. Dass das nötig ist, hat mit einem Urteil des obersten britischen Gerichts zu tun. Es entschied, dass das Parlament ein gewichtiges Wort beim Austritt aus der EU mitzureden hat - eine schallende Ohrfeige für May. Die Regierung griff in die Trickkiste und legte mit Blick auf die knappe Zeit dem Parlament einen ultrakurzen Gesetzentwurf vor, der May grünes Licht für den Brexit gibt. Trotzdem gab es hitzige Debatten im Parlament; damit ist auch in den nächsten Wochen zu rechnen.
Die Hektik hat auch mit einer Ankündigung Mays zu tun, die Austrittserklärung spätestens Ende März in Brüssel einzureichen. Erst danach können die Verhandlungen starten. Bis Großbritannien die Staatengemeinschaft verlässt, wird es mindestens zwei Jahre dauern. May darf trotzdem an dem EU-Gipfel am Freitag auf Malta nur zeitweise teilnehmen. Im ersten Teil des Treffens wird sie noch dabei sein, wenn es um eine gemeinsame Linie der Staaten zur Migration geht. Nachmittags muss May dann die Runde verlassen: Die verbleibenden 27 Staaten wollen ohne sie über die Zeit nach dem Brexit reden.

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