Hurra, wir verblöden!

KÖLN. Mit viel PR-Tamtam wurde "Fear Factor" (Angstfaktor), das jüngste Beispiel der bodenlosen Einfallsarmut privater Fernsehsender, auf den Bildsschirm gehievt.

Schwarze Fahnen flattern im warmen Wind von Buenos Aires. Die gelben BuchstabenF E A R F A C T O R erinnern von fern an eine Piratenflagge. Sechs Leute - zwei Männer, vier Frauen - stehen auf einem Dach und lauschen freundlich, hilflos, ratlos grinsend dem aufgekratzten Geplapper der Moderatorin Sonja Zietlow, dessen Aussagekraft das Niveau einer hirnamputierten Barbiepuppe locker unterbietet. Für Fernsehschaffende ihrer Art müsste der Stummfilm noch einmal erfunden werden. Da man aber leider etwas hört, wenn sie den Mund öffnet, wurden Kandidaten und Fernsehzuschauer zunächst mit einer Flut von Banalitäten überschwemmt, ehe die zu allem entschlossenen Männer und Frauen, denen schlimmstenfalls ein blauer Fleck oder ein Brechreiz widerfahren kann, mit einem Mountainbike eine Rampe hinunterfuhren, über einen Hochhausabgrund flogen und sich an ein Netz festkrallten. Wer‘s schaffte, war eine Runde weiter. In der durfte er/sie sich Käfer, Krebse oder Schlangen über den Kopf kippen lassen, der in einem Plastikkasten streckte, und mit dem Viehzeug sechs Runden auf einem Vertikaldrehstuhl hinter sich bringen. Zum Schluss dann eine Tauchnummer - wer am längsten in der Brühe eines trüben Swimmingpools aushielt, durfte 25 000 Euro mit nach Hause nehmen. Gewinnerin war die toughe Julia, die es perlentaucher-rekordverdächtige 1,41 Minuten unter Wasser aushielt. Im Gegensatz zum Vorbild schon entschärft

Der "Fear Factor", im Vorhinein schon heiß umstritten, ist fürs deutsche Fernsehen gegenüber dem amerikanischen Vorbild erheblich entschärft worden, sowohl was die Gefahren- als auch die Ekelprüfungen angeht. Gefahr, dass eine(r) das Studio vollkotzt, besteht also eher weniger. Lebende Würmer und verfaulende Innereien, wie im US-Fernsehen geschehen, werden die deutschen Kandidaten sicherlich nicht verspeisen müssen. Die Mutproben in der ersten Folge erinnerten vielmehr vage an "Spiel ohne Grenzen" unter verschärften Bedingungen. Doch hinter dieser Sendung aus unschuldsseligen Fernsehzeiten stand wenigstens noch der Gedanke der europäischen Völkerverständigung; der Jux hatte mithin ein hehres Motiv, und die Wettkämpfe zeugten zumindest manchmal von einer gewissen Originalität. Die scheint den heutigen Fernsehmachern beim Schielen auf die Quote abhanden gekommen zu sein, da geht‘s wirklich nur noch ums höher, schriller, riskanter, damit der vermeintlich so sensationslüsterne Zuschauer den Blick nicht von seinem Bildschirm wendet. Dieses Ziel musste in diesem Fall offenbar mit möglichst geringem Einsatz von finanziellen Mitteln erreicht werden. Der deutsche "Fear Factor", man spürt‘s in jeder Sendeminute, ist mithin doppelt gestraft - arm an Geist und Geld. Der Lalltüte fehlt nur die Knalltüte

Offenbar ist bei RTL inzwischen Discount-Fernsehen angesagt. Klotzte der Sender bei der Dschungel-Show "Ich bin ein Star - holt mich hier ‘raus!" neben der Lalltüte Zietlow noch mit der Knalltüte Dirk Bach, der immerhin hier und da für verschmitzte Komik sorgte, so musste Fräulein Zietlow die Reise nach Buenos Aires im vergangenen Dezember allein antreten. Dort wurden die sechs Folgen aufgezeichnet, und sie werden wohl auch ohne Rücksicht auf die Quote ausgestrahlt. Apropos Quote: Immerhin 3,38 Millionen Zuschauer, das entspricht einem Marktanteil von 11,6 Prozent, betrieben am Donnerstag Abend derlei unverantwortliche Verschwendung ihrer Lebenszeit. Wie man lesen konnte, waren die Verantwortlichen enttäuscht. Natürlich verzichten auch Sendungen dieser Güte nicht auf die geldbringende Zuschauer-Sender-Bindung. So erhielt 5000 Euro, wer die richtige Antwort auf die Frage parat hatte, ob der "Fear Factor" in Argentinien oder Grönland spielt. Hurra, wir verblöden!

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