"Ich bin ja kein Roboter" - CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner im TV-Interview

Trier · Für CDU-Landeschefin Julia Klöckner ist es zum zweiten Mal, dass sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl antritt. Knapp eine Woche vor der Wahl wirkt die 43-Jährige trotz der, wie sie sagt, durchgetakteten Tage entspannt, als sie am Mittwochvormittag dem TV Rede und Antwort steht.

"Ich bin ja kein Roboter" - CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner im TV-Interview
Foto: friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Das alles beherrschende Thema in diesem Wahlkampf ist das Flüchtlingsproblem. Sie haben das von Anfang an besetzt ...

Julia Klöckner: Viele hatten noch gar nicht vor Augen, wie langfristig uns das Thema beschäftigen wird. Zunächst ging es ja erst mal um Notmaßnahmen, also: Wie kriegen wir die Flüchtlinge unter, wie werden sie satt, wie steht es um deren Gesundheit. Das Thema Integration wird uns jetzt mehr fordern als jede Unterbringungsfrage. Integration hängt nicht nur von Geld ab, es ist ein Prozess, ein Ankommen im Land.

Und Sie haben Zweifel, dass bei den zu uns kommenden Flüchtlingen diese Integration gelingt?

Klöckner: Pauschale Antworten wären nicht angemessen. Bei den allermeisten Migranten funktioniert die Integration ja sehr gut. Schauen wir, wie viele in Krankenhäusern oder anderen Institutionen arbeiten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht dringend über die Probleme reden müssen, die auch da sind.Sie sagen: Bei der Mehrheit der zu uns kommenden Flüchtlinge funktioniert die Integration, nur bei einer Minderheit gibt es Probleme. Und wegen dieser Minderheit fordern Sie ein Integrationspflichtgesetz?

Klöckner: Integration sollten wir nicht dem Zufall überlassen. Wo Rechte sind, sind auch Pflichten, das muss für alle gelten. Nicht jeder, der Migrationshintergrund hat, geht schlecht mit Frauen um. Es gibt auch deutsche Männer, die Probleme mit der Gleichberechtigung haben, natürlich. Aber die Notwendigkeit eines Gesetzes hängt nicht von der Vielzahl der Probleme ab. Das Gesetz gegen häusliche Gewalt zum Beispiel gibt es, ohne dass man es an einer Zahl festmachen kann. Mir ist es gleich, wo jemand herkommt. Wichtig ist, wo er steht, wenn er hier ist. Auf dem Boden des Grundgesetzes.

Was genau ist Inhalt dieses von Ihnen geforderten Gesetzes?

Klöckner: Es geht um eine Integrationsvereinbarung. Integration ist nicht die Addition von Vielfalt. Wenn ein Flüchtling Rechte hat, ist doch klar, dass wir auch etwas von ihm verlangen können. Wenn sich jemand der Integration verweigert, dann dürfen wir das nicht tolerieren. Da darf man nicht aus einer falsch verstandenen Toleranz eine Ignoranz an den Tag legen.

Das klingt aber schon ein wenig, als wäre Ihre noch im vergangenen Sommer nach außen getragene Zuversicht, was Integration angeht, einer Skepsis gewichen ...

Klöckner: Ich bin nach wie vor sehr zuversichtlich, bin aber realistisch. Damit die Integration gelingt, braucht man aber einen Plan. Daher das Integrationspflichtgesetz, für das ja mittlerweile auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, ebenfalls SPD, sind, nachdem sie uns als Union dafür zuerst beschimpft haben. Die SPD und die Grünen in Rheinland-Pfalz sind noch immer dagegen. Pflichten soll nur der Staat, Rechte nur der Flüchtling haben. Das ist nicht nachvollziehbar.

Gibt es aber die von Ihnen angesprochenen Integrationsprobleme in der Form in Rheinland-Pfalz?

Klöckner: Es sind doch keine anderen Menschen, die zu uns kommen, als etwa nach Nordrhein-Westfalen. Zu uns kommen keine Heiligen, sondern Menschen. Es gibt viele Bürger, die sich Sorgen machen. Sie sind deswegen nicht gleich ausländerfeindlich. Ich muss versuchen, sie zu erreichen, klarmachen, dass die AfD eben keine Alternative für das Meistern von Herausforderungen ist.

Ihnen wird vorgeworfen, der Bundeskanzlerin in den Rücken zu fallen, Stichwort: Plan A2

Klöckner: Ach nein, ich unterstütze Angela Merkel und sie mich, elf Mal ist sie in Rheinland-Pfalz. Wir haben unterschiedliche Rollen, sie hält Europa zusammen. Meine Sichtweise ist die der Bürger in den Landkreisen, Städten und Gemeinden. Beide Sichtweisen gehören zusammen.

Es muss aber doch irritierend für Sie sein, dass ausgerechnet die Grünen und die SPD Merkel unterstützen ...

Klöckner: Die Strategie ist durchsichtig, weil nicht ernst gemeint. Im Landtag sind Rot-Grün in Reden über die Bundeskanzlerin hergefallen. Ich würde mir wünschen, die Landesregierung würde die Bundeskanzlerin wirklich unterstützen bei der Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Wer im Bundesrat lange Zeit die Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten blockierte, wer das im Herbst beschlossene Asylpaket drei Monate lang blockiert und wer nur wegen der Landtagswahl die Bürger im Unklaren lässt, ob man der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zustimmt oder nicht, der unterstützt nicht Angela Merkel. Der fällt ihr in den Rücken. Es gibt keinen einzigen Vorschlag von Rot-Grün zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen, im Gegenteil.

Also, Sie und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer stärken Frau Merkel den Rücken - und Rot-Grün torpediert die Kanzlerin?

Klöckner: Horst Seehofer, die Bundeskanzlerin und ich sind Mitglieder der Unionsfamilie. In 99 Prozent der Fälle sind sich CDU und CSU in nationalen Fragen einig, wie der Sicherung der Außengrenzen. Wir sind der Motor dafür. Schauen wir doch mal nach Bayern. Es gibt kein Bundesland, das die Flüchtlingskrise so zu spüren kriegt. Ich teile nicht alles, was aus Bayern kommt, aber die Integration funktioniert dort vorbildlich. Dort werden junge, erwachsene Flüchtlinge ohne Schul- oder Berufsabschluss in Extra-Klassen unterrichtet. Ein entsprechender Vorschlag wurde von unserer Landesregierung abgelehnt. 5000 Lehrer wurden in Bayern neu eingestellt, die SPD-geführte Landesregierung hat erst einmal Lehrerstellen abgebaut.

Ist Bayern auch Vorbild für Sie in Sachen Verfassungsklage gegen die Bundesregierung?Klöckner: Der Klageweg wäre nicht der meinige.


Jetzt haben wir fast ausschließlich über das Thema Flüchtlinge gesprochen. Ist die Problematik aus Ihrer Sicht tatsächlich das dominierende Thema im Wahlkampf?

Klöckner: Wir dürfen nicht vergessen, es geht um die Landtagswahl. Da stehen natürlich andere Themen im Mittelpunkt. Ich sage nur dramatische Verschuldung des Landes, deutschlandweit die wenigsten Polizisten pro Einwohner, zunehmende Wohnungseinbrüche, marode Straßen und Brücken, enormer Unterrichtsausfall.

Bleiben wir bei der Bildung: Sie fordern, das Schreibenlernen nach Gehör in den Grundschulen abzuschaffen. Doch selbst Lehrer sagen, dass das eigentlich nicht das große Thema sei. Warum ist es Ihnen trotzdem so wichtig?

Klöckner: Immer mehr Lehrer melden sich bei uns, dass sie diese Art, Schreiben zu lernen, für problematisch halten, gerade für schwächere Schüler. An über 900 Grundschulen des Landes wird bis Ende der zweiten Klasse Schreiben gelernt nach Gehör. Den Kindern systematisch Nachteile anzutrainieren, halte ich für falsch. Eltern laufen zurecht dagegen Sturm. Wir wollen wieder klare Rechtschreibregeln.

Und Sie wollen die gebührenfreie Kita abschaffen?

Klöckner: Falsch. Wir überlassen es den Trägern in Absprache mit den Eltern, ob sozial gestaffelte Gebühren für die, die es sich leisten können, erhoben werden können. Maximal ein Euro pro Tag, der in der Kita bleibt, zur Verbesserung der Qualität. Das letzte Kitajahr ist frei, Mehrkindfamilien sind befreit. Ist es gerecht, wenn die Kassiererin mit ihrem geringen Gehalt die kostenfreie Kita für das Manager-Bestverdienerpaar bezahlt? Übrigens ist unter der SPD mitnichten die Bildung gebührenfrei. Die Betreuung der unter Zweijährigen kostet auch etwas. Und Eltern in Rheinland-Pfalz zahlen 40 Millionen Euro für Nachhilfe. Die, die es sich leisten können. Das ist unsozial.

Sie fordern mehr Polizisten, mehr Lehrer und weniger Schulden. Wo wollen Sie denn das Geld für all das hernehmen?

Klöckner: Wir haben so hohe Steuereinnahmen wie noch nie. Trotzdem ist Rheinland-Pfalz Spitzenreiter bei der Neuverschuldung. Nur vier Bundesländer machen noch Schulden, Rheinland-Pfalz sogar so viel, wie die anderen drei zusammen. Das Land gibt von den Einnahmen, bevor überhaupt etwas investiert ist, etwa zehn Prozent aus für die Tilgung der Schulden. In Bayern sind es weniger als drei Prozent. Daher muss es unser Anliegen sein, keine neuen Schulden zu machen und überflüssige staatliche Einrichtungen, wie die neu geschaffene Energieagentur, sein zu lassen. Allein im Umweltministerium gibt es mehrere Hundert Millionen Euro auf Halde, die nicht ausgegeben wurden. Das würde doch keine Familie machen - dann noch Geld aufzunehmen.

Schauen wir mal auf die Grünen im Land. Es muss Sie doch freuen, dass diese nun in der Flüchtlingspolitik anscheinend auf Ihren Kurs, Stichwort: Einreisezentren, aufspringen.

Klöckner: Man kann sich über die Grünen manchmal sehr wundern. Man hat den Eindruck, sie wären eine außerparlamentarische Opposition, so wie sie ständig Vorschläge machen, die sie wieder einkassieren, auf andere eindreschen und dann das Gleiche dann selbst machen. Vielleicht liegt es daran, dass sie in den Umfragen hinter die AfD gefallen sind.

Es könnte ja aber durchaus sein, dass Sie mit den Grünen koalieren müssen ...

Klöckner: Es geht doch jetzt nicht um Posten und Koalitionen, sondern um Inhalten und Positionen. Um den Willen der Wähler. Rheinland-Pfalz braucht den Wechsel, den gibt es nur mit einer starken CDU. Dafür kämpfe ich.

Konkret, welche Bündnisse schließen Sie aus?

Klöckner: Ganz klar eine Koalition mit der AfD oder den Linken. Das heißt nicht, dass ich für Schwarz-Grün oder eine große Koalition werbe, sondern für eine starke CDU und den Wechsel.

Sollte es trotzdem zu einem Bündnis mit den Grünen kommen, könnte die Frage um die Zukunft des Nationalparks ein Knackpunkt werden. Wird es einen solchen Park unter Ihnen als Ministerpräsidentin weiter geben?

Klöckner: Noch einmal, ich mache keine Koalitionsspekulationen. In unserem Regierungsprogramm haben wir uns für den Erhalt des Nationalparks ausgesprochen. Es reicht aber nicht, einfach nur ein Schild aufzustellen. Die Region braucht ein umfassendes Entwicklungskonzept. Das Geld, das in den Nationalpark fließt, muss deshalb auch für die versprochenen, aber nicht umgesetzten Verkehrsprojekte im Hunsrück verwendet werden. Auch eine wirtschaftliche Nutzung ist wichtig.

Nun scheint es so, dass die AfD in den Landtag kommen wird. Wie wird sich das Klima dort verändern?

Klöckner: Ich versuche, die Menschen zu überzeugen, dass es eben keine ernsthafte Alternative ist, die AfD zu wählen. Das Klima würde populistischer werden.

Wird sich die AfD auf Dauer halten - oder wird sie wieder verschwinden?

Klöckner: Es wird schon ein Stück auch davon abhängen, wie Europa die Flüchtlingskrise bewältigen wird. In vielen unserer Nachbarländer wie Frankreich, Polen, Dänemark, Österreich oder auch in Großbritannien sind Rechtspopulisten auf dem Sprung in die Regierung oder bereits an der Macht. Deutschland ist da bislang die Ausnahme. Wir haben aber eine sehr stabile Gesellschaft. Politische Ränder, ob links oder rechts, wird es wohl immer geben. Mit meinem Plan A2 oder der Lösung der Integrationsfrage versuche ich ja alles, um nicht anderen das Feld zu überlassen, dass die Partei der Mitte sich nicht um die Sorgen der Bürger kümmern würde. Ich gebe Antworten auf Fragen. Dazu gehört auch, die AfD etwa in der Elefantenrunde mit Argumenten zu stellen. Da darf man als Ministerpräsidentin nicht kneifen.

Wie stehen Sie in dem Zusammenhang zu dem derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten NPD-Verbot?

Klöckner: Ich hoffe, dass das Verbot erfolgreich ist, da es ja nun auf den Weg gebracht wurde. Aber machen wir uns nichts vor, man kann radikales Gedankengut nicht einfach verbieten, wir müssen uns damit auseinandersetzen.

Frau Klöckner, geben Sie uns doch mal einen Einblick in die letzten Tage vor der Wahl.

Klöckner: Die nächsten Tage gehen wohl schneller vorbei als man denkt. Mein Terminkalender ist gut gefüllt. Ich werbe bis zum letzten Tag für eine bessere Bildung, für solide Finanzen, für schnelles Internet, mehr Sicherheit und den Zusammenhalt der Generationen. Das gibt es mit der CDU. Viele Wähler sind noch unentschlossen.

Wie sieht ein typischer Tag bei Frau Klöckner derzeit aus?

Klöckner: Ich stehe zeitig auf, mir sagte mal ein Wahlkämpfer, Schlaf würde überbewertet (lacht). Morgens die Presselage sichten, mit meinen Mitarbeitern Wichtiges besprechen, im ganzen Land unterwegs sein zu vielen Bürgerversammlungen, Menschen zuhören und Antworten geben. Es tut gut, dass die Liebsten um mich herum sind und mich unterstützen und mir Kraft geben. Mein Vater rief mich gleich nach dem Fernsehduell an und sagte: Mensch, Mädchen, das hast du gut gemacht. Schön ist, das zu hören. Man ist ja auch kein Roboter.

(wie)Extra

 „Mein Terminkalender ist …

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Foto: friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"
 … gut gefüllt. Ich werbe bis zum ...

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 ... letzten Tag. Viele Wähler sind ...

... letzten Tag. Viele Wähler sind ...

Foto: friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"
 ... noch unentschlossen.“

... noch unentschlossen.“

Foto: friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Julia Klöckner, seit 2010 Vorsitzende der rheinland-pfälzischen CDU, tritt nach 2011 zum zweiten Mal als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl an. Von 2002 bis 2011 saß die studierte Politikwissenschaftlerin und Theologin im Bundestag. Von 2009 bis 2011 war die Winzerstochter aus Guldental (Kreis Bad Kreuznach) parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium. Die 43-Jährige ist mit dem Medienmanager Helmut Ortner liiert. (wie)
Kurzes Videostatement von Julia Klöckner in der TV-Facebook-Timeline

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