"Ich bin wie ich bin"

TRIER. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit war SPD-Parteichef Matthias Platzeck (52) am Mittwoch für ein paar Stunden in Trier. Grund der Stippvisite: ein Besuch mit der Mainzer Gesundheitsministerin und SPD-Landtagskandidatin Malu Dreyer beim Bürgerservice. Der TV sprach mit dem Müntefering-Nachfolger über Tests, Tarife und Trier.

 "Ich schaue nie nach hinten und stecke meinen Kopf in den Sand" – Der SPD-Parteivorsitzende Matthias Platzeck im Gespräch mit TV-Chefreporter Rolf Seydewitz.Foto: Friedemann Vetter

"Ich schaue nie nach hinten und stecke meinen Kopf in den Sand" – Der SPD-Parteivorsitzende Matthias Platzeck im Gespräch mit TV-Chefreporter Rolf Seydewitz.Foto: Friedemann Vetter

Herr Platzeck, Wissen Sie eigentlich, welcher deutsche Arzt die Erreger von Cholera und Tuberkulose entdeckt hat? Platzeck: Robert Koch. Bravo, damit haben Sie eine von 100 Fragen eines Tests für einbürgerungswillige Ausländer des hessischen Innenministeriums richtig beantwortet. Baden-Württemberg hat einen solchen Test schon, Hessen führt ihn ein, und der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr fordert ihn: Was halten Sie davon?Platzeck: Nicht sehr viel. Wir lösen die Probleme, die wir in diesem Bereich haben, nicht dadurch, dass wir Geographie oder Geschichte abfragen. Übrigens: Bei einigen Fragen kämen selbst gestandene Landsleute ins Grübeln. Sie sind vier Monate im Amt: Bereuen Sie es schon, im November als eine Art Feuerwehrmann die Müntefering-Nachfolge angetreten zu haben?Platzeck: Nein, ich wusste ja, was auf mich zukommt. Ich mache das gerne und mit Leidenschaft. Da ich mir nicht eingebildet habe, dass es leicht würde, bin ich auch über nichts verwundert. Die personelle Alternative lautete seinerzeit ja Kurt Beck oder Matthias Platzeck: Wie haben Sie es geschafft, den gewichtigen Mainzer Ministerpräsidenten auf Platz zwei zu verweisen?Platzeck: Das hat mit Verweisen nichts zu tun. Kurt Beck und ich haben freundschaftlich, offen und sachlich überlegt, wie wir gemeinsam den größtmöglichen Nutzen für unsere Partei und damit auch für die Entwicklung in unserem Land erzielen können. Und da war es Kurt Beck, der - auch vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahl - ganz klar für sich die Entscheidung getroffen hat. Beck sollte als Ausgleich eine herausgehobene Stellung im SPD-Vorstand haben: Wie sieht das in der Praxis aus?Platzeck: Dass wir uns eng abstimmen, sehr eng zusammenarbeiten und uns aufeinander verlassen können. Und das funktioniert bislang ausgezeichnet. Obwohl sie erst kurze Zeit an so herausragender Position im Amt sind, zählen Sie schon zu den beliebtesten Politikern in Deutschland: Wie schafft man das?Platzeck: (lacht) Dafür gibt es kein Rezept. Ich bin wie ich bin. Wenn Menschen das so sehen, ehrt mich das. Ich gebe allerdings aber auch zu: In den 15 Jahren, die ich mittlerweile in der Politik bin, habe ich nie übermäßig viel auf Umfragen und Bewertungen gegeben. Das liegt wohl auch an dem, was mir mein Großvater mit auf den Weg gegeben hat: Behalte in allen Lebenslagen die Füße fest auf dem Boden. Trotzdem: Ihre Werte sind gut, da liegt es doch auf der Hand, dass Sie bei der nächsten Bundestagswahl in gut drei Jahren als SPD-Kanzlerkandidat ins Rennen gehen?Platzeck: (schmunzelt) Ich beantworte ja gerne und offen alle Fragen, die anstehen. Wir haben derzeit eine Menge Dinge auf der Tagesordnung und zunächst einmal die Verpflichtung, gute Arbeit abzuliefern. Die Frage, wer Kandidatin oder Kandidat wird, werden wir erst vor der Bundestagswahl 2009 entscheiden. Sie sind beim Wahlvolk beliebt, ihre Partei weniger: Wie erklären Sie sich die eher bescheidenen Umfrage-Ergebnisse Ihrer Partei? Platzeck: So schlecht schneiden sozialdemokratische Verantwortungsträger nicht ab, wenn Sie sich die letzten Umfragen, auf die Sie ja offenbar so großen Wert legen, anschauen. Dass wir im Moment damit leben müssen, dass der gute Start der großen Koalition das Scheinwerferlicht erst einmal auf die Chef-Etage wirft, ist ein normaler Vorgang. Das muss Sie doch ärgern...Platzeck: Ich schaue nie nach hinten und stecke meinen Kopf in den Sand, sondern sage: Ärmel hoch und etwas daraus machen. Das werden die Menschen schon mitbekommen und auch honorieren. Es spricht sich herum, dass wir vom ersten Tag an im Maschinenraum gestanden und geackert haben in so wahrlich nicht einfachen Ressorts wie Arbeit, Soziales, Gesundheit oder Finanzen. Wir haben das nicht gescheut, andere haben spitze Finger bekommen. Trotzdem meckert die Opposition, dass die von Grünen und FDP so bezeichnete Kuschelkoalition bis dato noch nichts auf die Beine gestellt hat. Liegt's an den bevorstehenden drei Landtagswahlen?Platzeck: Wenn dem so wäre, hätten wir etwa das Thema Rente nicht vor den Wahlen angepackt. Wir wollen die Probleme, die anstehen, auch Stück für Stück lösen. Dass eine Opposition, die derzeit nicht wirklich wahrgenommen wird, irgendetwas sagen muss, was ihnen nicht gefällt, verstehe ich. Welche großen Reformprojekte will die große Koalition als erstes anpacken?Platzeck: Bei der Rente sind wir mittendrin, Gesundheit mit Sicherheit auch noch in diesem Jahr. Hinzu kommt das drängende Thema Existenz sichernde Einkommen. Stichwort Mindestlohn....Platzeck: Ich rede lieber von Existenz sichernden Einkommen. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass 2,5 Millionen Menschen in Deutschland eine Vollzeitbeschäftigung haben, aber dafür nur 500 bis 600 Euro monatlich bekommen. Davon kann niemand leben. Wenn 18 europäische Länder mittlerweile Mindestlöhne haben, und die sind alle nicht untergegangen, kann das kein Teufelszeug sein. Stichwort Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst: Ist eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden überhaupt noch zeitgemäß? Sie arbeiten doch bestimmt auch länger, oder?Platzeck: Um welche Berufszweige geht es denn? Es geht um Müllentsorgung, um Krankenhäuser und Schichtdienste rund um die Uhr. Da wird genau so hart gearbeitet wie in anderen Bereichen. Ich habe auch an einigen Tarifauseinandersetzungen teilgenommen. Wir sind mit den Arbeitnehmervertretern immer an den Tisch gegangen nach dem Motto: Hier sitzen sich Leute auf Augenhöhe gegenüber. Mein Ziel war es dabei nie, die Gewerkschaft in die Knie zu zwingen. Ob das im Moment von allen Verhandlungsführern so gesehen wird, wage ich zu bezweifeln. Ist die Schlichtung der richtige Ausweg?Platzeck: Ich bin gegen weitere Denkpausen, das ist niemandem mehr zuzumuten. Entweder die Tarifparteien setzen sich jetzt mit dem festen Willen zusammen, zu einem Abschluss zu kommen. Oder, meiner Meinung nach eine sinnvolle Alternative, man verständigt sich auf die Schlichtung. In Niedersachsen hat das am Mittwoch innerhalb weniger Stunden zum Erfolg geführt. Anderes Thema: In punkto Anwendung militärischer Gewalt denken Sie in Bezug auf den Iran wir Ihr Vor-Vorgänger Gerhard Schröder. Wie wollen Sie die Mullahs, wenn sie stur bleiben, in der Atom-Frage zum Einlenken bewegen?Platzeck: Ich wollte, insbesondere nach der Münchener Sicherheitskonferenz, ein Zeichen setzen, dass wir wachsam sind, wenn es um die Militarisierung des Denkens geht. Wir haben es in der Welt mit hochkomplexen Problemen zu tun. Dafür brauchen wir adäquate Lösungen, die sind nie einfach. Solche Lösungen finden wir nur auf diplomatischem Weg. Deshalb sollten wir auch beim Thema Iran aufhören, militärische Optionen im Hinterkopf zu haben. Das unterstelle ich in Deutschland auch niemandem. Harter thematischer Schnitt und abschließende Frage: Sind Sie heute zum ersten Mal in der Region Trier?Platzeck: Ich war schon öfter hier in der Region, habe sogar mit meinen Kindern mal zwei Wochen Urlaub zwischen Koblenz und Trier gemacht. Da sind wir gewandert und Fahrrad gefahren. ....und sind wahrscheinlich artig zum Geburtshaus von Karl Marx spaziert?Platzeck: Da waren wir nicht, das gebe ich zu. Aber ansonsten haben wir uns alles Sehenswerte in Trier angeschaut und auch viele Weinverkostungen gemacht. Wo Wein angebaut wird, ist einfach mehr Frohsinn zu Hause. d Mit Matthias Platzeck sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

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