"Ich glaube nicht, dass ich erschossen werde"

Weil er seine Kinder mehr als anderthalb Jahrzehnte lang missbraucht haben soll, muss sich seit gestern ein 54-jähriger Mann aus der Eifel vor dem Trierer Landgericht verantworten. Zum Prozessauftakt wurde bekannt, dass sich der arbeitslose Kraftfahrer sogar an acht seiner insgesamt 14 Kinder vergangen haben soll.

 Ein Justizbediensteter führt den mit Handschellen gefesselten Angeklagten Sergej N. am ersten Verhandlungstag zurück in die Zelle. TV-Foto: Friedemann Vetter

Ein Justizbediensteter führt den mit Handschellen gefesselten Angeklagten Sergej N. am ersten Verhandlungstag zurück in die Zelle. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. 20 Minuten benötigt Staatsanwalt Sebastian Jakobs am Mittwochmorgen, um die Anklageschrift zu verlesen. 20 Minuten, in denen man im Saal 66 des Trierer Landgerichts wohl eine Stecknadel fallen hören könnte, wäre da - neben der Stimme des Staatsanwalts - nicht das leise Gemurmel der Dolmetscherin, die dem russischstämmigen Angeklagten Satz für Satz übersetzt. "Oh Gott", meint angesichts der schier unglaublichen Vorwürfe gegen den 54-Jährigen ein Mädchen im Zuschauerraum, das mit ihren Klassenkameraden den Prozessauftakt verfolgt. Eine andere Jugendliche hält sich immer wieder die Hand vors Gesicht und schüttelt den Kopf.Sergej N. soll über mehr als 15 Jahre hinweg acht seiner 14 Kinder brutal vergewaltigt und missbraucht haben. Für den Fall, dass sie etwas erzählten, drohte er den vier Mädchen und vier Jungen angeblich Schläge an oder gar, sie umzubringen.Die Einschüchterungen des bulligen, untersetzten Vaters funktionierten offenbar. Keines der Kinder ging je zur Polizei oder vertraute sich Dritten an. Hätte sich der mutmaßliche Kinderschänder nicht vor einem halben Jahr im Alkoholrausch selbst bezichtigt, sich an seinen Kinder vergangen zu haben, wären die Verbrechen womöglich nie bekannt geworden. Wahrscheinlich sogar weitergegangen. Denn noch im Oktober vergangenen Jahres, wenige Tage vor seiner Festnahme, soll sich Sergej N. ein letztes Mal an seinem 15-jährigen Sohn vergangen haben. "Verzeih' mir, und erzähle niemandem davon", soll er dem Sohn anschließend gesagt haben - fast auf den Tag genau sechs Jahre, nachdem er ihn laut Anklageschrift das erste Mal missbraucht hat."Nutzen Sie die Zeit, gehen Sie in sich"

Wenige Minuten vor Prozessbeginn führt ein Justizbediensteter den mit Handschellen gefesselten Sergej N. aus der Zelle im Keller des Gerichtsgebäudes in den Sitzungssaal. Der kleine, untersetzte Mann macht in seiner dunkelfarbigen Trainingshose und dem schwarzen, ärmellosen Unterhemd einen fast schon bemitleidenswerten Eindruck. Der Zuckerkranke bittet über seinen Verteidiger Alexander Pochilko um ein Glas Wasser. Er habe am Morgen vergessen, seine Medikamente zu nehmen, heißt es später.Sergej N. wird an diesem ersten Prozesstag nichts sagen. Er wird auch gar nicht gefragt. Der Verhandlungsauftakt ist die Stunde von Staatsanwalt Sebastian Jakobs und die des Vorsitzenden Richters Albrecht Keimburg. Vorsorglich hat Keimburg für den Prozess schon einmal neun Verhandlungstage angesetzt. Das deutet daraufhin, dass etliche Zeugen gehört werden müssen, wenn der Angeklagte, wie angekündigt, tatsächlich nur ein Teilgeständnis ablegen will. "Nutzen Sie die Zeit bis zum nächsten Prozesstag", sagt Keimburg in Richtung Anklagebank, "gehen Sie in sich und überlegen Sie, ob wir Ihre Kinder hier wirklich zu allen Details befragen müssen." Es ist ein deutlicher Appell des Vorsitzenden Richters an den Angeklagten, am Freitagmorgen, wenn der Prozess fortgesetzt wird, reinen Tisch zu machen und ein umfassendes Geständnis abzulegen. Einige Monate Strafnachlass könnte das Sergej N. einbringen."Gesetz ist Gesetz"

So oder so droht dem mit seiner Familie vor 17 Jahren nach Deutschland eingewanderten Mann eine langjährige Gefängnisstrafe, wenn sich die Vorwürfe als wahr herausstellen. Das weiß auch der Angeklagte. In einem Gespräch mit einer Sachverständigen im Untersuchungsgefängnis sagte Sergej N. auf die Frage, mit welcher Strafe er bei einer Verurteilung rechne: "Ich glaube nicht, dass ich erschossen werde. Aber ich fürchte einen langen Aufenthalt. Gesetz ist Gesetz."Sechs der laut Anklageschrift acht missbrauchten Kinder treten in dem Prozess gegen ihren Vater als Nebenkläger auf. Niemand von ihnen ist am Mittwoch beim Prozessauftakt im Gericht; die inzwischen teils erwachsenen Söhne und Töchter des Angeklagten lassen sich durch zwei Anwälte vertreten. Wie zu hören ist, sind die meisten zu Hause ausgezogen, sobald sie volljährig waren. Es war wohl die einzige Möglichkeit, der schlimmen Vergangenheit wenigstens ein Stück weit zu entkommen.

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