"Ich wünsche mir einen Freund"

TRIER. Die Seele leidet, wenn Knder und Jugendliche immer wieder aggressiven Schikanen ihrer Mitschüler ausgesetzt sind. Manche werden körperlich bedroht, andere aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen oder immer wieder gehänselt. Lehrer und Eltern sind in der Pflicht und können einiges tun, damit Gewalt an Schulen keine Chance hat.

DIE OPFER: "Ich habe viele Probleme in meiner Klasse. Weil ich zu groß und zu dick bin. Drei Jungen aus meiner Klasse machen mir das Leben schwer. Ich war auch schon kurz davor, mich umzubringen, aber niemals hat es geklappt. Ich wünsche mir einen Freund, der zu mir hält. Dann wünsche ich mir, angesehen zu sein und dünn zu werden. Das sind meine einzigen Wünsche, die aber wohl niemals in Erfüllung gehen", sagt ein Mädchen aus einer Trierer Schule. Sie wird von ihren Mitschülern schikaniert oder, wie Experten sagen, viktimisiert. "Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher wiederholt und regelmäßig zum Opfer von Aggressionen eines oder mehrerer Gleichaltriger wird, wird von Viktimisierung gesprochen", sagt Diplom-Psychologin Andrea Mohr. Dazu gehören nicht, etwa spielerische Rangeleien unter gleichstarken Partnern. Auch wenn Jungen häufiger zu Opfern und Tätern gehören, handelt es sich keineswegs um ein reines Jungenproblem. Ein Drittel der Opfer und der Täter waren weiblich, fand Mohr in ihrer Studie heraus. Gewalt an der Schule sei entgegen der üblichen Sichtweise kein Hauptschul-Problem. "Dort kommen körperlich-aggressive Auseinandersetzungen häufiger vor. In allen drei Schulformen gibt es aber annähernd gleich viele Opfer und Täter", so Mohr. Die Opfer an den weiterführenden Schulen sind verstärkt jüngere Schüler, während die Täter eher in den höheren Klassen anzutreffen sind. Wie kommt es zur Gewalt an Schulen? "Es scheint häufig kein Zufall zu sein, dass bestimmte Schüler zu Opfern werden", so Mohr. "Entscheidend sind anscheinend die Verhaltensweisen der Opfer gegenüber ihren Mitschülern." Vor allem passive Schüler, die wehr- und hilflos erscheinen, werden von aggressiveren Schülern als geeignete Opfer wahrgenommen. Der Täter gewinnt das Gefühl von Macht, Überlegenheit und Stärke. Andere Opfer wiederum scheinen bei Mitschülern durch provokant-aggressives und störendes Verhalten, Ärger und Aggressionen auszulösen. Die Mitschüler nehmen unterschiedliche Rollen ein: Nicht selten unterstützen einige den Täter aktiv, sie spornen ihn beispielsweise an weiterzumachen. Vergleichsweise selten kommt es dazu, dass die Mitschüler versuchen, das Opfer zu unterstützen oder zu verteidigen. Die Lehrer: "Die Lehrer dürfen aggressives Verhalten nicht tolerieren oder dulden." Zu wenig pädagogisch-soziales Engagement der Lehrer steht im Zusammenhang mit häufigeren Aggressionen zwischen den Schülern. Relevant sei auch die Wertschätzung und Unterstützung, die der betroffene Schüler seitens seiner Lehrer erhält. "Ein Schüler wird weniger stark beeinträchtigt, wenn die Lehrer ihm das Gefühl geben, dass sie ihn mögen, ihn erst nehmen, ihm Zuneigung, Interesse und Anerkennung entgegenbringen", so Mohr. Was können Eltern tun? "Kinder und Jugendliche lernen den Umgang mit Konflikten in ihrer Familie. Dort finden sie ihre Vorbilder und Modelle, wenn es darum geht, mit Problemen zwischen Menschen umzugehen. Deshalb ist es wichtig, sich selbstkritisch unter die Lupe zu nehmen", sagt Andrea Mohr. Daneben sei das Wichtigste, was Eltern tun könnten, dass sie für die Sorgen und Nöte ihres Nachwuchses ein offenes Ohr haben, dass sie sich Zeit nehmen, das Problem nicht bagatellisieren und die Gefühle des Kindes ernst nehmen. "Eltern sollten ihrem Kind durch ihr Interesse immer wieder signalisieren, dass sie bei Problemen Ansprechpartner sein wollen, egal was der Täter androht", so die Psychologin. Oft sei es sinnvoll, wenn die Eltern ein Gespräch mit dem Klassenlehrer oder einem Vertrauenslehrer führen, eventuell mit den Eltern des Täters oder mit dem Täter selbst.Angst, als Petze dazustehen

Dabei gelte es, dem Kind die Angst zu nehmen als "Petze" dazustehen, alle Seiten ohne Anschuldigungen zu Wort kommen zu lassen und eine Lösung zu finden. Wichtig das Selbstvertrauen der Opfer zu fördern. Doch Eltern sollten nicht übermäßig beschützen, da dies verhindere, dass das Kind selbstständig wird und Selbstbewusstsein aufbauen kann. "Ein weiterer sinnvoller Ansatz für Heranwachsende ist das Üben konstruktiver Konfliktbewältigungskompetenzen in der Familie", so Mohr.

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