Im Wahn die eigene Frau getötet: Prozessbeginn ohne Angeklagten

Trier · Das Trierer Landgericht muss entscheiden, ob ein 83-jähriger Demenzkranker in Sicherungsverwahrung kommen soll. Der Mann ist schuldunfähig.

 Verteidiger Andreas Ammer. TV-Foto: Bernd Wientjes

Verteidiger Andreas Ammer. TV-Foto: Bernd Wientjes

Foto: (g_pol3 )

Trier Der Platz auf der Anklagebank im Trierer Landgericht neben Verteidiger Andreas Ammer bleibt an diesem Morgen leer. Ein ungewohnter Anblick in einem Strafprozess. Ein Angeklagter muss zu seiner Verhandlung erscheinen. So steht es in der Strafprozessordnung. Doch in diesem Prozess ist vieles anders.
Der Angeklagte ist ein 83-Jähriger. Er ist demenzkrank. So hochgradig, dass er verhandlungsunfähig ist. Wegen seiner Krankheit ist der Mann, der im Januar seine zwei Jahre jüngere Frau im Trierer Stadtteil Pfalzel getötet hat, auch schuldunfähig. Bei dem Prozess geht es nicht um das Aburteilen der Tat. Es geht um die Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Normalerweise wird diese nach der Verbüßung einer Haftstrafe von einem Richter angeordnet und soll die Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straf- und Wiederholungstätern schützen. Der Verteidiger will verhindern, dass der Mann in Sicherungsverwahrung kommt. "Dort wird ihm nicht geholfen", sagt Ammer nach Ende des ersten Verhandlungstags. Stattdessen soll der 83-Jährige in ein speziell auf hochgradig an Demenz erkrankte Senioren ausgerichtetes Pflegeheim kommen.
Wie gefährlich ist der Mann tatsächlich? Laut Anklage haben er und seine Frau am 21. Januar in ihrem Wohnzimmer in dem Mehrfamilienhaus Fernsehen geschaut. Die 81-jährige Frau hat wie immer in ihrem Sessel gesessen, als der Mann plötzlich einen Wutanfall bekommen haben soll. Staatsanwalt Eric Samel spricht in der Anklageschrift davon, dass der gelernte Werkzeugmacher im Wahn seine Frau zunächst gewürgt habe und dann mit einem großen Küchenmesser mehrmals auf sie eingestochen haben soll - an Hals und Brust. Danach habe er die Polizei angerufen und mitgeteilt, dass er seine Frau getötet habe.
Um 22.10 Uhr ist der Notruf eingegangen. Als kurz danach die Beamten in die Wohnung kommen, finden sie den Mann mit blutverschmierter Kleidung auf einem Stuhl im Flur sitzend. Die dann eintreffenden Rettungskräfte können der Frau nicht mehr helfen. Sie ist in ihrem Fernsehsessel verblutet. Wie es dazu gekommen sei, wisse er nicht. Er sei von Weißglut getrieben worden, plötzlich habe er ein Messer gehabt, das dann blutig gewesen sei, habe er kurz nach der Tat gesagt, berichtet eine Polizistin vor Gericht. Bei der Vernehmung im Polizeipräsidium habe er angegeben, dass seine Frau ihn ständig betrüge. Noch in dieser Nacht ist der Mann in die Psychiatrie eingewiesen worden.
Wie sehr der Mann in seiner eigenen Welt lebt, wird deutlich, als die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz das Vernehmungsprotokoll verliest. Im September hat sie den 83-Jährigen in der forensischen Klinik Nettegut in Andernach (Kreis Mayen-Koblenz), in die er nach der Tat eingewiesen worden ist, vernommen. Das Protokoll zeigt die ganze Tragik des Falles. Der 83-Jährige, der in der Tschechei geboren und im Krieg vertrieben wurde, ist davon überzeugt, dass er in Leipzig lebt. Dort hat er bis 1955 gewohnt. Außerdem glaubt er, dass seine Eltern noch leben. Und seine Frau auch. Die komme ihn aber nicht mehr besuchen. Das werde schon seine Gründe haben, habe er bei der Vernehmung gesagt. An einen Streit mit ihr könne er sich nicht erinnern. Auch Wochentage kennt er nicht mehr.
Staatsanwalt Samel glaubt, dass sich die Justiz stärker auf demenzkranke Straftäter einstellen muss. "Die Leute werden immer älter und mit zunehmendem Alter steigt die Gefahr einer Demenz", sagt Samel nach Ende der Verhandlung. Auch bei der Trierer Staatsanwaltschaft seien in den vergangenen Monaten mehrere Straftaten von Demenzkranken registriert worden.

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