Im Zweifelsfall sowohl als auch

Bürgerbeteiligung ist kein leichtes Geschäft. Zumal dann, wenn sie unter dem Verdacht steht, sie solle der Politik nur ein Alibi für längst gefällte Entscheidungen (oder fortgesetzte Untätigkeit) liefern. Der Trierer Bürgerkongress zeigte gute Ansätze, aber keinen durchschlagenden Erfolg.

Trier. "Sind Sie Profi-Bürger oder Normalos?" Die Frage des jungen Anzugträgers aus dem wissenschaftlichen Begleit-Team des Bürgerkongresses entlockt den beiden älteren Herrn an der Theke des Europahallen-Foyers ein amüsiertes Lachen. Noch-Landrat Roger Graef und sein Alt-Kollege Richard Groß gehören fraglos zu den "Profi-Bürgern", so wie ADD-Präsident Peter Josef Mertes, Triers Kulturdezernent Ulrich Holkenbrink, der Konzer Bürgermeister Winfried Manns und all die anderen Polit-Cracks, die sich - demonstrativ zurückhaltend, aber unübersehbar präsent - unters Bürger-Volk mischen. Das besteht, wie eine auf Publikums-Nachfrage durchgeführte Abstimmung ergibt, fast ohne Ausnahme zumindest aus Halbprofis. Ratsmitglieder, Parteifunktionäre, Verwaltungsmitarbeiter, Vereins-Engagierte geben sich durch Handzeichen zu erkennen. Würde man nach funktionslosen "Normalbürgern" fragen, gingen wohl nur wenige Arme hoch.Konzept der Kongresse geht halbwegs auf

Das hindert niemanden an einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verwaltungs-Praxis im Lande. Wollen in den ersten Runden noch viele ihrem Ärger über einzelne Vorgänge und persönliche Erlebnisse Luft machen, so geht es im Laufe des Tages immer näher ans Thema. Und auch die ungewohnte Arbeitsweise mit Einzelgruppen, deren Ergebnisse auf Flipcharts festgehalten, intern abgestimmt und dann im Plenum vorgetragen werden, gestaltet sich nach anfänglicher Beklommenheit immer lockerer. Das Konzept der Heidelberger Agentur "cg-konzept", die die Bürgerkongresse für die Landesregierung organisiert hat, scheint zu funktionieren. Auch die Pausen werden für vielfältige Diskussionen genutzt. Die Wissenschaftler von der Uni Koblenz-Landau können etliche Dutzend eng beschriebene Charts mit nach Hause nehmen. Aber am Ende, als es Spitz auf Knopf geht und die Moderatoren das Publikum zum ersten Mal vor eine konkrete Wahl stellen, zeigt sich der Pferdefuß einer solchen offenen, nicht auf klare Entscheidungsprozesse ausgelegten Veranstaltung. Vor die Alternative gestellt, ein Votum zugunsten einer umfassenden Verwaltungs- und Gebietsreform oder zugunsten einer nicht näher beschriebenen "kommunalen Kooperation" abzugeben, entscheiden sich die Bürger für ein konsequentes "sowohl als auch". Fasst man die Stellungnahmen aus den 15 Arbeitsgruppen zusammen, müsste die Landesregierung die Verwaltung drastisch reduzieren, dabei alles Funktionierende uneingeschränkt erhalten, den Kommunen die Kooperations-Entscheidungen freiwillig überlassen, aber sie notfalls auch zu ihrem Glück zwingen, der Gebietsreform den Vorrang geben und sich gleichzeitig um die wichtigen Dinge kümmern. Man darf gespannt sein, wie die "Arbeits-Zellen", die unter Beteiligung der Bürger den Reform-Prozess begleiten sollen, aus diesem Sammelsurium konkrete Handlungs-Empfehlungen destillieren. Die Landespolitik kann sich einstweilen aussuchen, was sie für richtig hält und sich dabei auf die Bürger berufen. Ein Schelm, wer darin den Sinn der gesamten Bürgerkongress-Tournee sieht, die in Trier, der fünften Station, zu Ende ging. Meinung Weder Alibi noch Freibrief Es ist keine Alibi-Veranstaltung, wenn die Politik die Bürger einlädt, unter fairen Bedingungen ihre Meinung zu einem Themenkomplex zu sagen und Ideen einzubringen. Die Bürgerkongresse zur Verwaltungsreform sind eine ernsthafte, methodisch innovative Form der Beteiligung - allerdings in ihren Erkenntnissen durchaus begrenzt und alles andere als repräsentativ. Wobei aber auch gilt: Alle Bürger waren eingeladen. Wenn dann trotzdem wieder nur die Funktionsträger aus Politik, Verwaltung und Vereinigungen zusammensitzen, kann man das weder den Teilnehmern noch den Veranstaltern zum Vorwurf machen. Die Resonanz zeigt aber, dass das Gros der Bürger die Brisanz der Thematik und die Chancen, die in einer umfassenden, auf Effektivierung zielenden Reform liegen, noch nicht realisiert hat. Wenn die Bürger ihre Anforderungen an Verwaltung und Kommunalpolitik formulieren, dann denken sie an bessere Schulen, mehr ÖPNV, ordentliche Straßen, schnellen und freundlichen Service, kompetente Problemlösung. Was sie vergessen, ist die Endlichkeit der öffentlichen Mittel. Jeder Euro, der für das pure Verwalten draufgeht, kann eben nicht mehr für Kindergärten, Schulen, Straßen ausgegeben werden. Jede Arbeitsstunde in der Verwaltung, die auf Doppelarbeit und Bürokratie verwendet werden muss, steht eben nicht mehr für Bürger-Service zur Verfügung. Im Umkehrschluss: Je weniger verwaltet wird, desto mehr Handlungsfreiräume hat die kommunale Selbstverwaltung. Das einzige Ressourcenfeld (außer Steuer- und Abgabenerhöhungen), das für ein Mehr an öffentlichen, bürgerwirksamen Dienstleistungen zur Verfügung steht, ist der konsequente Abbau der Bürokratie. Es sollte aber niemand ernsthaft erwarten, dass die Kommunalpolitiker und ihre Verwaltungen vor Ort diesen mühevollen, schmerzhaften Schnitt in eigener Regie schaffen. Auch dann übrigens nicht, wenn man noch so viel "Aufgabenkritik" übt. Eine ordentliche Verwaltung findet für jede Aufgabe, die man ihr wegnimmt, eine neue. Bürokratien sind drauf angelegt, ihre Unverzichtbarkeit zu beweisen und ihren Besitzstand zu verteidigen. Wer also glaubt, mit einem "bisschen Reform", allseitigen Appellen, freiwilligen Zusammenschlüssen und ein paar kosmetischen Umverteilungen irgendetwas zu bewegen, ist entweder naiv - oder er will gar nichts ändern. d.lintz@volksfreund.de

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