In aller Ruhe zur zweiten Etappe

Berlin . Das Wort kommt Angela Merkel schon lange nicht mehr über die Lippen, doch es geistert auch am Tag nach den drei Landtagswahlen wieder durch das Konrad-Adenauer-Haus: "Durchregieren". Wer auch immer aus den Gremiensitzungen der Union zu seiner dunklen Limousine vor der CDU-Zentrale eilt, wird danach gefragt.

Beginnt jetzt das innenpolitische "Durchregieren" der großen Koalition? Annette Schavan, Bundesbildungsministerin, kann das Wort schon nicht mehr hören; wie immer grinst sie trotzdem pflichtbewusst: "Es wird zügig und konsequent regiert." Im Nachhinein wird sich vor allem Angela Merkel ärgern, dass sie diesen Begriff bei einer ziemlich misslungenen Rede im Bundestag erfunden hat. Damals war sie noch Herausforderin von Gerhard Schröder. Inzwischen ist sie seine Nachfolgerin, und - ob sie will oder nicht - ihre Kanzlerschaft und die Arbeit ihrer schwarz-roten Koalition wird nun, nach dem Ende der Schonfrist, am "Durchregieren" gemessen werden. Das Wort lässt sich nicht mehr ausradieren, obwohl Merkel schon seit Längerem darum bemüht ist. "Ich nenne das die zweite Etappe", predigt sie jetzt stur das neue Abschnitts-Motto ihrer Regierungsarbeit. Denn Etappen taugen nicht zum Spott, sie sind mitunter holprig, mühevoll; weil aber auch immer etwas Aufbruch mitschwingt, passen sie gut zu einer großen Koalition. Schaut man sich die Herren auf dem Podium in der CDU-Zentrale an, sieht man sofort, wie anstrengend ein Etappensieg sein kann. Und wie demütigend eine Niederlage sein muss: Neben Merkel stehen die erfolgreichen Wahlkämpfer Günther Oettinger, Baden-Württemberg, und Wolfgang Böhmer, Sachsen-Anhalt - sie wirken matt und erschöpft. Auf der anderen Seite senkt der rheinland-pfälzische Wahlverlierer Christoph Böhr meist den Blick, zerknirscht und fluchtartig rauscht er nach der Pressekonferenz davon; nicht einmal das Gruppenfoto mit Dame wartet er ab. "Bestätigung" und "Ermutigung" (Merkel) hat Böhr weiß Gott nicht erhalten vom Wahlvolk. Dafür aber die große Koalition in Berlin, wie die Kanzlerin felsenfest glaubt. Ist dem wirklich so? Dass die Wahlbeteiligungen allesamt hundsmiserabel waren, ach was, man sollte nicht "dramatisieren", winkt Merkel ab. Vielleicht habe es ja etwas damit zu tun, "dass wir eine Bundesregierung haben, die ruhig arbeitet". Das klingt nach Schröders legendärer ruhiger Hand. Zu ruhig, zu kuschelig, glauben auch viele in den eigenen Reihen. Deswegen propagiert die Regierungschefin jetzt immer und immer wieder die besagte zweite Etappe: Merkel nennt die Baustellen Föderalismusreform, Bürokratieabbau, Haushalt, Arbeitsmarktreformen, Energie- und die Familienpolitik. Dazu die Gesundheitsreform, über die sie gestern mit der zuständigen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) beraten hat, und für die in den nächsten Tagen die entscheidenden Weichen mit der SPD-Führung gestellt werden sollen.Harte Arbeitswochen könnten zum Zoff führen

"Um nur einige Stichworte zu nennen", sagt sie nach der langen Aufzählung so lapidar, als ob sich die Dinge mal eben abarbeiten ließen. Dabei sind sie hochgradig kompliziert und zum Teil strittig. Bislang haben Schwarze und Rote nur den Koalitionsvertrag erfüllt, jetzt müssen Streitthemen angepackt werden. Die "harten Arbeitswochen" (Merkel) können daher schnell zum ausgiebigen Zoff führen. Zumal die nach Profil suchenden Genossen endlich ans Sonnendeck der großen Koalition kommen wollen. Im Willy- Brandt-Haus hat man daher keine Zeit zum Trauern und zum Nachkarten - gegen Ute Vogt, die Wahlverliererin aus Baden-Württemberg, oder gegen Jens Bullerjahn, der ein schlechtes Ergebnis, aber zum Glück noch eine Regierungsbeteilung in Sachsen-Anhalt herausgeholt hat. Der Triumph von Kurt Beck in Rheinland-Pfalz überlagert alles, in ihm sonnt sich auch der SPD-Chef Matthias Platzeck. "Diese Freude sei mir gegönnt", lächelt er sich nach der Vorstandssitzung die Erleichterung von der Seele. Nun kann man dem neuen Selbstbewusstsein gleich freien Lauf lassen: Die Union müsse mehr Engagement in der großen Koalition an den Tag legen, schießt Generalsekretär Hubertus Heil einen ersten Probepfeil ab.

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