Ins Lager statt aufs Boot

Berlin. Nach dem Streit um die von der "Cap Anamur" geretteten Flüchtlinge ist eine neue Diskussion um Asyl-Suchende ausgebrochen. Auslöser: Innenminister Otto Schily mit seinem Vorschlag, Flüchtlingslager in Nordafrika zu bauen.

Otto Schily demonstrierte mal wieder den Grad seiner Wandlung vom linken Grünen zum rechten Roten: "Im Wege eines Experiments", dozierte der Bundesinnenminister am Montag in Brüssel, müsse die Einrichtung von Flüchtlingslagern in Nordafrika geprüft werden. Den armen Teufeln mit ihren trügerischen Asyl-Illusionen könne so "Schutz und Unterkunft" gewährt werden, anstatt sie auf dem Weg nach Europa tödlichen Gefahren im Mittelmeer auszusetzen. Hilfsorganisationen und Flüchtlingsexperten stockte der Atem: "Zynisch, völkerrechts- und verfassungswidrig", urteilte "Pro Asyl". Auch ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Grünen-Chef Reinhard Bütikofer und der Politikwissenschaftler Dieter Oberndörfer schüttelten den Kopf: "Das widerspricht der Genfer Flüchtlingskonvention." Oberndörfer fügte hinzu: "Das riecht gegen den Wind nach Scharfmacherei." Damit kennt Schily sich aus. Des Kanzlers Mann für Recht und Ordnung spitzt gerne zu. Und da ihm Selbstzweifel so fremd sind wie afrikanischen Flüchtlingen der Streit um die Cap Anamur, hat er auch von Anfang an gewusst, dass mit der jüngsten Rettungsaktion im Mittelmeer etwas nicht stimmen kann. Durch die Blume ließ er kürzlich verlauten, womöglich seien Schleuser mit am Werk gewesen, als die Cap Anamur vor der Insel Lampedusa 37 afrikanische Bootsflüchtlinge aus dem Meer fischte und in einen sizilianischen Hafen brachte (wo die Besatzung erst mal eingesperrt und das Schiff festgelegt wurde). Dass aber entgegen den ministeriellen Vermutungen alles ganz anders gewesen sei, versuchten am Dienstag der Chef des "Komitee Cap Anamur", Elias Bierdel, und Kapitän Stefan Schmidt vor der Bundespressekonferenz zu erklären. Es war ein denkwürdiger Auftritt. Ex-Journalist Bierdel, bar jeder diplomatischen Eigenschaften, schimpfte rüde auf die Medien, denen er "miese Schmierbeiträge" und eine "grob entstellende Berichterstattung" attestierte. Sodann erzählte er die Geschichte der Rettung, wie sie sich wirklich zugetragen habe: Von Westafrika kommend wollte die Cap Anamur im Dienste der Humanität angeblich nach Jordanien, um dort Hilfsgüter abzuliefern. Dann aber habe man einen schweren Maschinenschaden erlitten, was den Weg nach Malta erforderlich gemacht habe, wo die Maschine repariert worden sei. Bei einem "Probelauf" habe man dann 180 Seemeilen südlich von Lampedusa zufällig die Afrikaner auf offenem Meer entdeckt und selbstverständlich an Bord genommen.Besatzung entrüstet: Keine Medienkampagne

Dummerweise habe er dann, so Bierdel (der erst nachträglich von Djerba aus aufs Schiff geeilt war), bei der Wahl des Anlaufhafens einen "Fehler" gemacht. Die fünf Tage in italienischer Haft seien eine harte Zeit gewesen, doch nun sitze er "nicht ohne Stolz" hier in Berlin. Die Frage, ob die Flüchtlinge im Interesse einer Medienkampagne instrumentalisiert worden seien, wiesen Bierdel und Schmidt entrüstet zurück. "Ich würde immer wieder so handeln", sagte Kapitän Schmidt. Gleichzeitig spielten er und Bierdel den Konflikt mit Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck herunter, der sich kritisch zu dem Verhalten Bierdels geäußert hatte. Bierdel wollte auch von seinen Attacken auf Neudeck ("Ein bizarrer Fall von senilem Zynismus.") nichts mehr wissen und stellte Neudecks Lebensleistung stattdessen "in eine Reihe mit Albert Schweitzer". Bleibt Schilys Vorschlag einer Kasernierung der Elendsflüchtlinge in Nordafrika. "Pro Asyl"-Vertreter Karl Kopp und die Grünen Reinhard Bütikofer, Volker Beck und Claudia Roth lehnten den Plan rundweg ab. Solche Vorschläge vertrügen sich nicht mit rot-grünen Positionen zu Asyl und Menschenrechten. Auch der SPD-Politiker Rudolf Bindig äußerte sich kritisch. Ganz im Gegensatz zum bayerischen Innenminister Günter Beckstein, den Schily stets als "Freund" bezeichnet: Beckstein schlug gestern vor, die Flüchtlinge praktischerweise gleich in ihren Heimatregionen in Lager zu sperren, wo sie dann ihre Asylanträge ins ferne Europa stellen könnten.

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