"Ins Sommerloch versenken"

BERLIN. Der alte Streit um die neue Rechtschreibung - in regelmäßigen Abständen flammt er auf, und beinahe wäre man geneigt, ihm keinerlei Bedeutung mehr beizumessen. Doch mit der Ankündigung großer Verlage, zur alten Schreibweise zurückzukehren, hat die Diskussion eine neue Dimension erreicht.

Kippt jetzt die Rechtschreibreform ganz, weil die großen und mächtigen Medienhäuser Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag zur alten Schreibweise zurückkehren wollen? Und erst Recht, wenn auch noch der Süddeutsche Verlag das "Aus" für die neue Rechtschreibung in seinen Titeln wahr macht und führende Nachrichtenagenturen womöglich nachziehen? Für die Vorsitzende des Bildungsausschusses des Bundestages, Ulrike Flach, ist das Ende der Reform in Sicht: "Ein weiterer Dominostein ist gefallen", meinte die FDP-Politikeringestern in Berlin, wo der Paukenschlag der Verlage die Bildungspolitiker ordentlich in Wallung brachte. Die Gegner der Reform reiben sich die Hände, denn sie sehen ihr Ziel nun fast erreicht - und sie erhöhen den Druck auf diejenigen, die den Daumen heben oder senken können: "Die Ministerpräsidenten der Länder haben es in der Hand, dem Spuk eine Ende zu machen", sagt Flach auffordernd. Schon längst hätten sie die Reform "im Sommerloch versenken" müssen. Stärkster Verbündeter der Liberalen ist nach wie vor Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Er forderte gestern schon die komplette Rücknahme der neuen Regeln. Wulff war es nämlich, der mit seiner Haltung gegen die neue Schreibe vor einigen Wochen den Stein wieder richtig ins Rollen gebracht hatte. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), Saarlands Regierungschef Peter Müller und Sachsen-Anhalts Amtsinhaber Wolfgang Böhmer sowie derbaden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (alle CDU) waren seinem Beispiel daraufhin gefolgt. Und das, obwohl auch ihre Kultusminister noch Anfang Juni bekräftigt hatten, dass die Regeln wie geplant im August 2005 verbindlich werden. Keiner der Länderchefs hat jedoch damit gerechnet, dass sich durch die entfachte Debatte eine solche Lawine wie die gestrige in Gang setzen würde - und sie rollt unaufhörlich weiter. In vielen Redaktions- und Verlagsstuben wird nun darüber nachgedacht, ob man "Schifffahrt" bald wieder mit nur zwei "f" schreiben soll."Populistische Entscheidung der Verlage"

"Die Rechtschreibreform ist gescheitert, weil sie bei den Menschen nicht angekommen ist", argumentierte gestern die bildungspolitische Sprecherin der Union, Katherina Reiche (CDU). "Ich glaube, dass es notwendig ist, die Dinge zurückzudrehen", meinte Reiche gegenüber unserer Zeitung. Fernab der Kultusdemokratie müsse dann eine Expertengruppe darüber befinden, welche neuen Regeln künftig nötig seien. Ob es so kommen wird? Die Befürwortern der Reform aus dem Regierungslager setzen auf trotzige Durchhalteparolen: Die Entscheidung der Verlage "halte ich für populistisch", kommentierte der Bildungsexperte der SPD, Jörg Tauss. "Ich hielte es für eine Riesenblamage, wenn die Kultusministerkonferenz jetzt noch einen Salto rückwärts macht." Jetzt erst Recht, lautet daher die Devise. Das mag auch für die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die Mainzer Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD), gelten: Sie zeigte für den Kurswechsel der Verlage gestern "kein Verständnis". Der Glaubenskrieg in Deutschland um das Für und Wider der Rechtschreibreform wird Ahnen allerdings alsbald schon im Kollegenkreis wieder einholen: Auf Antrag des saarländischen Kultusministers Jürgen Schreier (CDU) wird die KMK im Herbst erneut über die Rechtschreibreform debattieren - und dann dürfte deutlich werden, welcher lautstarke Ministerpräsident seinen Kultusminister tatsächlich los schickt, um Front gegen die Reform zu machen.

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