"Irgendwo an der Kante"

BERLIN. (vet) Über mangelnden Lesestoff kann sich Peter Altmaier nicht beklagen. 30 Ordner mit 40 000 Akten stellte das Finanzministerium dem Lügen-Untersuchungsausschuss zur Verfügung, um den Vorwurf zu klären, die Regierung habe die prekäre Haushaltslage bis zur Bundestagswahl bewusst geschönt.

Natürlich konnte CDU-Obmann Altmaier noch nicht alle Akten studieren. Doch was der saarländische Bundestagsabgeordnete bis zur gestrigen Ausschusssitzung sichtete, habe ihn "sehr bestürzt gemacht". Zwei öffentliche Äußerungen von Ressortchef Hans Eichel (SPD) liegen der Union schwer im Magen. Am 12. September 2002, also zehn Tage vor der Bundestagswahl, hatte der Kassenwart die Erreichbarkeit der geplanten Neuverschuldung in Höhe von 21,1 Milliarden Euro bekräftigt. In Wahrheit wurden daraus 34 Milliarden Euro. Und noch am 19. September war Eichel fest davon überzeugt, einem "Blauen Brief" aus Brüssel zu entgehen, der die Deutschen zur Einhaltung des Maastrichter Defizitkriteriums von drei Prozent mahnen sollte. Am Ende betrug die Neuverschuldung 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nur die wenigsten kennen sich in diesem Zahlensalat aus. Einer davon ist Manfred Overhaus. Der heute 63-Jährige diente bereits unter Finanzminister Theo Waigel (CSU) als beamteter Staatssekretär und hat seitdem alle Wechselspiele überstanden. Von Overhaus versprach sich die Union einen wichtigen Zeugen zur Untermauerung ihrer Vorwürfe. Was er vor dem Ausschuss zu Protokoll gab, lässt sich mit einem Satz zusammen fassen: Wir wussten um die Risiken - aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Nach seinen Angaben ging in der Haushaltsabteilung bereits Mitte Juli 2002 die"Alarmlampe" an. In einem schriftlichen Vermerk kamen die Beamten zu dem Schluss, dass sich der Haushaltsverlauf "zunehmend" verschlechtert. Zugleich ist dort von einer "Gefährdung des Stabilitätsziels" von Maastricht die Rede. Hintergrund der Erkenntnis: Gemessen an der Schätzung vom Mai waren die Steuereinnahmen des Bundes Ende Juni um 6,8 Milliarden Euro eingebrochen. "Das ist eine Bombe", bemerkte Overhaus trocken. Dennoch hab er "keine Handlungsnotwendigkeit" gesehen. Auch für eine Publikmachung sah er keinen Anlass. Und dass Hans Eichel bis zur Bundestagswahl an der geplanten Neuverschuldung fest hielt, ist für Overhaus ebenfalls normal. Am Ende blieb jedoch ein Eingeständnis: "Wir waren irgendwo an der Kante, das haben wir gesehen", meinte er. Schon deshalb hat sich die Zeugenvernehmung für Union gelohnt. Für Hans Eichel werde es laut Peter Altmaier "sehr eng". DerKassenwart ist für Donnerstag vor den Ausschuss geladen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort