Jubel über das Desaster der anderen

Freud' und Leid liegen im Leben oft dicht beieinander. Auch die Führung der Bundes-SPD in Berlin steckt an diesem Sonntagabend in einem Wechselbad der Gefühle.

Berlin. Als der schwarze Balken für die CSU im Fernsehen bei 43 Prozent kleben bleibt, da kennt das Gejohle im Berliner Willy-Brandt-Haus kaum Grenzen. Doch schon in der nächsten Sekunde schlägt der laute Jubel in leises Entsetzen um. Die bayerischen Genossen haben es nicht vermocht, aus dem dramatischen Absturz der Hubers und Becksteins Kapital zu schlagen. Schlimmer noch: Das ohnehin schon miese Resultat der SPD vor fünf Jahren droht noch ein paar weitere Zehntel nach unten zu rutschen. Doch schnell gewinnen Trotz und Schadenfreude die Oberhand.

"Der Gegenwind ist weg", freut sich der schleswig-holsteinische Landsparteichef Ralf Stegner. "Bei Gelegenheit werden wir sicher Rückenwind bekommen." Unter die rund 200 Genossen und Sympathisanten in der SPD-Zentrale hat sich auch der Sozialpolitiker Karl Lauterbach gemischt. "Bei einer so niedrigen Wahlbeteiligung ist das Ergebnis für die SPD gar nicht so schlecht", sinniert Lauterbach. Und überhaupt: Da die CSU eine dramatische Niedertage erlitten habe, werde die SPD in der großen Koalition "tendenziell stärker".

Dass es deshalb auch einfacher werden könnte, erscheint vielen Genossen jedoch zweifelhaft. Bei Wurstsalat und Weißbier kreisen viele Gespräche um die neue Verunsicherung der Union, aus der leicht Unberechenbarkeit werden könnte. Schon das Tauziehen um die Erbschaftsteuer könnte in den nächsten Tagen davon Zeugnis ablegen. "Der Wind wird rauer bei Schwarz-Rot", prophezeit ein Abgeordneter.

Dann wird es still im großen Atrium. Über die Fernsehschirme flimmern nur noch die Bilder von abgekämpften bayerischen Landespolitikern. Vorn auf der Bühne steht jetzt Frank-Walter Steinmeier am Mikrofon. Es ist seine erste Landtagswahl, die er als kommissarischer Vorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD zu interpretieren hat.

Steinmeier redet kaum über die eigene Partei



Und Steinmeier tut das, was seine Anhänger unten im Saal auch tun: Rede viel über die Niederlage der anderen, aber kaum über die eigene. Wir hätten uns "ein noch besseres Ergebnis gewünscht", sagt Steinmeier in seiner kurzen Ansprache. Es bleibt die einzige Bemerkung, die er über das schon seit Jahrzehnten anhaltende Tief der bayerischen Genossen verliert. Bis Anfang der 80er-Jahre machte immerhin noch etwa jeder dritte Wähler im Freistaat sein Kreuzchen bei der SPD. An diesem Sonntag war es nicht einmal mehr jeder fünfte.

Doch solche Gedanken gehen im Jubel über die Schmach der CSU unter.

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