Jung, dynamisch, leistungsfähig

TRIER. Dass der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft stetig steigt, ist bekannt. Gleichzeitig wächst jedoch auch ein beispielloser Jugendkult, der den Wert eines Menschen nach Leistungsfähigkeit, Attraktivität und körperlicher Fitness beurteilt.

Waldemar Vogelgesang, Soziologe an der Uni Trier, sieht den Jugendwahn vor allem in der Werbung verbreitet. "Die Jugendlichkeitsaspekte sind dort oft sehr überzeichnet, aber gerade deshalb als Modell zu verstehen." Diesem Modell eifern Menschen aller Altersstufen nach, weil sie Jugendlichkeit mit Glück, Gesundheit und Lebensfreude gleichsetzen. Unterstützt werden sie dabei von einer gigantischen Industrie, die Schönheitspräparate aller Art anbietet. Auch die Zahl der kosmetischen Eingriffe ist in den letzten fünf Jahren um 30 Prozent gestiegen. Wird Jugendkult zur Besessenheit, kann sich daraus sogar eine psychische Störung entwickeln. Das "Dorian-Gray-Syndrom", benannt nach Oscar Wildes Romanfigur, lässt normale Alterserscheinungen wie graue Haare für den betroffenen Menschen zur persönlichen Katastrophe werden. Anfällig dafür sind vor allem sehr selbstbezogene Personen, die Reifungsprozesse und damit verbundene Einschnitte in ihrem Leben heftig ablehnen. Dabei äußert sich bei ihnen lediglich klinisch das, was sich als gesellschaftliche Tendenz in vielen Lebensbereichen andeutet. "Die Bedeutung des Alters im Hinblick auf Erfahrung und Reife nimmt ab. Wichtiger ist heute, mithalten zu können, leistungsfähig und jugendlich zu sein", sagt Claus Bechtel, Vorsitzender des Jugendrings Trier-Land. Soziale Bindungen haben keine Bedeutung mehr

Das bestätigt auch Brigitte Beling, sechs Jahre lang Seniorenbeauftragte der Verbandsgemeinde Trier-Land. Eine der Gefahren, die diese Entwicklung birgt, sieht sie in der Geringschätzung des Alters. Menschen, die nicht mehr im Arbeitsprozess stünden oder eine Funktion als Konsument erfüllten, würden schnell abgeschoben. "Hinzukommt, dass soziale Bindungen vor allem in den Familien abnehmen. Ältere Menschen fühlen sich überflüssig. Noch schlimmer ist es, wenn sie krank oder zu Pflegefällen werden." In dem im April 2003 veröffentlichten vierten Bericht zur Lage der älteren Generation in Deutschland heißt es, die wachsende Zahl Älterer und Hochaltriger berge neue soziale Herausforderungen. Ein neues Bild des Alters und ein neuer Umgang damit sei erforderlich seien. Alle Lebensphasen seien als gleichwertig zu behandeln, Geringschätzung dürfe es nicht geben. In der Praxis sieht das teilweise anders aus: "Mit dem Begriff Senioren muss man sehr vorsichtig sein. Seniorengruppen leiden unter Nachwuchssorgen, weil niemand mehr dieser Gruppe zugerechnet werden möchte. Heute muss man Menschen, die aus dem Berufsleben ausscheiden, das Alter als eine gestaltbare neue Lebensphase schmackhaft machen, die sie nicht auf typische Rollen festlegt", sagt Brigitte Beling. Waldemar Vogelgesang weist auf die veränderten Lebensverhältnisse hin, die heute sowohl älteren, als auch jungen Menschen viel mehr Wahlmöglichkeiten und Erfahrungsbereiche bieten als den Generationen davor. "Jugendliche reagieren gesund auf diese Entwicklung. Sie erkennen ihren Marktwert, überprüfen ihre Umwelt auf Chancen und Risiken und entwickeln gerade im Kommunikationsbereich Kompetenzen, mit denen sie ihre Eltern überflügeln. Die Älteren reagieren hilflos." Brigitte Beling wünscht sich einen lebendigen und offenen Dialog zwischen den Generationen: "Wir sollten fragen, wo wir uns gegenseitig bereichern können. Es muss einen Austausch über die materielle Ebene hinaus geben." Gerade das ist aber schwierig geworden, da es durch den Wegfall von Mehrgenerationen-Familien kaum noch Möglichkeiten gibt, dass Junge und Alte zusammen leben und den Alltag meistern.

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