Kampf gegen volle Wartezimmer: Mehr Ärzte aufs Land

Trier · Ärztemangel auf dem Land soll bald der Vergangenheit angehören. Mit dem gestern vom Bundestag mit den Stimmen von CDU und SPD verabschiedeten Versorgungsstärkungsgesetz sollen mehr Anreize dafür geschaffen werden, dass sich Mediziner nicht nur in Städten niederlassen.

Trier. Knapp 900 niedergelassene Ärzte gibt es in der Region Trier. Noch. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz werden es bis 2020 nur mehr halb so viele sein. Es wird für Ärzte immer schwieriger, Nachfolger für eine Praxis auf dem Land zu finden. Die wenigen verbliebenen Mediziner müssen deswegen mehr arbeiten, die Wartezimmer sind voller.
Das soll sich ändern. Mit dem gestern vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (siehe Hintergrund) sollen mehr junge Ärzte aufs Land gelockt werden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen künftig durch Zuschüsse Anreize für Praxis-Neueröffnungen in unterversorgten Regionen schaffen. Freiwerdende Praxen in überversorgten Gebieten sollen nicht neu besetzt werden.
Es bringe Gebieten, in denen es zu wenig Ärzte gebe, nichts, wenn etwa in Städten freiwerdende Praxen nicht mehr besetzt würden: "Damit geht im ländlichen Raum noch keine Praxisneugründung einher", sagt Günther Matheis, Vorsitzender der Bezirksärztekammer Trier.
Auch die KV Rheinland-Pfalz ist skeptisch, dass der drohende Ärztemangel durch das Gesetz behoben werden kann. Es fehlten weiter gesetzliche Rahmenbedingungen, "die die Arzttätigkeit wieder attraktiv" machten, sagt KV-Sprecher Rainer Saurwein. Dazu gehörten ein verlässliches und kalkulierbares Einkommen und weniger Bürokratie für die niedergelassenen Ärzte. Positiv bewertet die KV, dass es künftig eine engere Zusammenarbeit zwischen den Kassenärzten und den Krankenhäusern geben soll. Die Kliniken sollen verstärkt auch ambulante, fachärztliche Behandlungen übernehmen.
Patientenvertreter sind skeptisch, dass durch das neue Gesetz der Ärztemangel behoben werden kann. Zwar seien die darin genannten Maßnahmen sinnvoll, sagt Willi Jäger, Landesvorsitzender des Sozialverbandes VdK. "Aber ob sie ausreichen, wird sich erst in der Praxis zeigen."
Die Chefin der Krankenkasse AOK Rheinland-Pfalz, Irmgard Stippler, glaubt, dass durch das Gesetz die medizinische Versorgung auf dem Land verbessert werden kann. Das sieht auch die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler so.
Land fördert Mediziner


Künftig könnten Hausärzte oder Kommunen auch medizinische Versorgungszentren gründen, sagt die Ministerin. Mehrere Ärzte könnten dort zusammenarbeiten und damit auch auf dem Land die medizinische Versorgung sicherstellen. Bätzing-Lichtenthäler weist aber auch darauf hin, dass Rheinland-Pfalz gegen den Ärztemangel bereits aktiv geworden sei. So würden vom Land Ärzte, die sich im ländlichen Raum niederlassen wollten, mit bis zu 15 000 Euro unterstützt. Auch Medizinstudenten, die ihr praktisches Jahr bei einem Hausarzt machten, würden gefördert.
Die Ministerin sieht durch das neue Gesetz auch die Rechte der Patienten gestärkt. So sollen "unzumutbar lange Wartezeiten auf Facharzttermine der Vergangenheit" angehören. Sogenannte Terminservicestellen, angesiedelt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, sollen gewährleisten, dass gesetzlich Versicherte nicht länger als vier Wochen auf einen Termin warten müssen.
Es gebe keine überlangen Wartezeiten, sagt hingegen Ärztekammer-Chef Matheis. Und kaum Patientenbeschwerden. Das bestätigt auch die AOK-Chefin. Für Matheis besteht zwischen der im Gesetz vorgesehenen Steuerung der ärztlichen Versorgung in Städten und der Verringerung der Wartezeiten ohnehin ein Widerspruch: "Mir erschließt sich auch nach längerem Nachdenken nicht die Sinnhaftigkeit, auf der einen Seite Praxen zu schließen, um andererseits nach freien Arztterminen Ausschau zu halten." Auch dürfe man nicht vergessen, dass eine "nicht unerhebliche Zahl" von fest vereinbarten Arztterminen von den Patienten nicht eingehalten würden. "Niemand denkt in diesem Zusammenhang dar-über nach, dass dieser Leerlauf die Ärzte Zeit und Geld kostet."Extra

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will mit seinem "Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung" (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz) die Verteilung der Ärzte in Deutschland verändern. Die zentralen Ziele der Reform, die am Donnerstag vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist: Überversorgung in Ballungsräumen soll entzerrt, Unterversorgung in ländlichen Regionen soll behoben werden. Hier fünf zentrale Punkte des Gesetzes: Durch stärkere, vor allem finanzielle Anreize sollen Ärzte für eine Niederlassung in unterversorgten, strukturschwachen Gebieten gewonnen werden. Künftig soll eine Praxis in einem überversorgten Gebiet nur dann nachbesetzt werden, wenn dies für die Versorgung der Patienten sinnvoll ist. Die Einzelfallentscheidung treffen Zulassungsausschüsse (Ärzte und Krankenkassen) vor Ort. Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden verpflichtet, Terminservicestellen einzurichten. Sie sollen, wenn nötig, Versicherten mit einer Überweisung innerhalb von vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt vermitteln. Sollte das nicht möglich sein, kann der Patient ein Krankenhaus aufsuchen. Das Recht der Versicherten auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung soll gestärkt werden. So sollen unnötige Eingriffe verhindert werden. Zur Förderung von Innovationen in der Versorgung wird ein Innovationsfonds von 300 Millionen Euro jährlich eingerichtet - zunächst von 2016 bis 2019. dpa

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