Kartell der Modernisierer

Berlin. 2007 kann man sofort vergleichen. Das ist neu und spannend. Erstmals werden die beiden Volksparteien fast gleichzeitig ihre neuen Grundsatzprogramme präsentieren. Dann lässt sich nachlesen, wie weit die schwarz-roten Denkwelten in Wahrheit auseinander liegen, wie groß der Vorrat an Gemeinsamkeiten (noch) ist.

Kanzlerin Angela Merkel weiß: Das kommende Jahr birgt Risiko und Chance zugleich. Eine zu große Kluft zwischen den Programmen von CDU und SPD könnte die Arbeit der schwarz-roten Koalition in Berlin deutlich erschweren; andererseits besteht endlich wieder die Möglichkeit, sich beim Buhlen um die heiß geliebte Mitte voneinander abzugrenzen. Schwarzer Fortschritt gegen roten Rückschritt

Merkel sieht vor allem diese Chance, sagen Parteikreise. Schwarzer Fortschritt gegen den roten Rückschritt soll die Strategie der Union werden. Zur Umsetzung hat sie daher jetzt ein Kartell der Modernisierer für die Programmarbeit installiert. Die Kanzlerin selbst wird kräftig Einfluss nehmen auf das neue Grundsatzprogramm der CDU: Bei fünf Regionalkonferenzen wird sie die Basis auf neue Inhalte des alten Wertekanons - Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität - einstimmen. Auftakt war gestern in Potsdam. Die Arbeit der 69-köpfigen Grundsatzprogramm-Kommission will Merkel parallel intensiv begleiten, vor allem dann, wenn es um die Frage der künftigen Identität ihrer Partei geht. Anders als die SPD verordnet sich die Union nicht Leitsätze, sondern acht Leitfragen, zu denen breit bis in die Niederungen der Provinz diskutiert werden soll. Entstauben, ergänzen, Altes aus den Programmjahren 1978 und 1994 neu justieren und einmotten, das sollen dann Merkels Modernisierer leisten: CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla als Oberhirte, der den Freiheitsbegriff neu definieren und den Staat zurückschrauben will; Bildungsministerin Annette Schavan, die die Union zur innovativen Zukunftspartei machen soll; im Schlepptau der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus für die Ost- und der Saarländer Peter Müller für die West-Befindlichkeit. Wenn auch nicht zur Grundsatzkommission gehörend, muss auch Familienministerin Ursula von der Leyen zu diesem Kartell gezählt werden: Im Auftrag Merkels ist sie unablässig dabei, die Union auf neue Wege vorzubereiten. Siehe Elterngeld. Im künftigen Grundsatzprogramm sollen die Konservativen schließlich vor allem Abschied nehmen vom traditionellen Familienbild: Die nächsten Bundestagswahlen 2009 kann Merkel nur gewinnen, wenn die CDU wieder in den großen Städten punktet, wo sie zum Teil hinter die Grünen zurückgefallen ist. Dazu muss aber die neue Lebenswirklichkeit von Familien akzeptiert und program-matisch aufgegriffen werden. "Es geht nicht anders", weiß ein Unionist. Ärger scheint programmiert, weil der Findungsprozess quasi öffentlich ist; die Union geht das Risiko ein, ihr Programm vorab zu zerreden. Dieses wird zudem auf der entscheidenden Komponente "Freiheit" fußen. Dahinter verbergen sich mehr Eigenverantwortung, weniger staatliche Aufgaben, die Neuausrichtung der Sozialsysteme und der sozialen Marktwirtschaft. Ohne Einschnitte geht das nicht. Unklar ist, ob die Basis das Bedürfnis der Führung nach neuen Grundsätzen und einer intensiven Debatte darüber überhaupt teilt. Je länger die große Koalition dauert, je mehr Kompromisse geschlossen werden müssen, desto größer wird die Sehnsucht nach Abgrenzung werden, glaubt die Parteispitze. Besser: Sie hofft es.

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