Kein willfähriger Handlanger

Washington . (fd) Der US-Geheimdienst CIA hat den Irak nie als eine unmittelbare Gefahr eingestuft. Das erklärte CIA-Chef George Tenet am Donnerstag in seiner mit Spannung erwarteten Reaktion auf Anschuldigungen des zurückgetretenen US-Waffeninspekteurs David Kay.

"Niemand hat uns gesagt, was wir sagen sollen." Als CIA-Chef George Tenet gestern in der Georgetown-Universität ans Rednerpult tritt, wirkt er kämpferisch und verärgert. Denn angesichts der bisher ergebnislosen Waffensuche im Irak ist immer öfter zu hören gewesen, der CIA sei vom Weißen Haus massiv unter Druck gesetzt worden, um den Irak-Krieg zu rechtfertigen. Nein, als willfähriger Handlanger Bush will sich Tenet nicht abstempeln lassen und tritt die Flucht nach vorn an. Denn seit der Präsident einen Untersuchungsausschuss angeordnet hat, der die Arbeit des CIA unter die Lupe nehmen soll, gilt Tenet als wacklig. Dabei sei es für eine kritische Bilanz viel zu früh: Die Suche nach Massen-Vernichtungswaffen sei keinesfalls vorbei. "Wir brauchen mehr Zeit und mehr Daten", sagt Tenet und stemmt sich damit auch gegen den früheren US-Chefwaffeninspektor David Kay und dessen Aussage, dass der Irak keine Massen-Vernichtungswaffen mehr besessen habe und dass der US-Geheimdienst "fundamentale Probleme in der Beurteilung von Bedrohungsszenarien" habe. Gleichzeitig räumt der CIA-Chef jedoch auch erstmals ein: "Wir sind niemals vollständig korrekt oder vollständig falsch." Tenet vertritt die Position, seine Behörde habe teilweise widersprüchliche Fakten und unterschiedliche Analysen geliefert und den Politikern die notwendigen Konsequenzen daraus anheim gestellt. Damit distanziert sich Tenet auch von Aussagen, die vom Bush-Kabinett damals den Kriegs-Kurs Bushs stützen sollten - wie die Bemerkung Donald Rumsfelds, man wisse, wo Hussein die verborgenen Waffen aufbewahre. den Verteidigungsminister scheinen mittlerweile selbst Zweifel an dieser Feststellung zu plagen: "Manchmal sage ich etwas, von dem ich mir wünsche, es nicht gesagt zu haben", hatte Rumsfeld gegenüber Kongress-Mitgliedern am Mittwoch geäußert. Erkennbar wehrt sich Tenet auch gegen die Interpretation, die CIA habe mit dem erarbeiteten Material ein akutes Bedrohungs-Szenario konstruiert. "Wir haben niemals gesagt, dass es eine aktuelle Bedrohung gibt", so Tenet. Den Geheimdienst-Chef stützt in dieser Frage jetzt auch ein vertrauliches Schreiben aus dem Oktober 2002 an den US-Präsidenten, das in Washington diese Woche bekannt wurde: Darin hatte Tenet unter anderem festgestellt: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Saddam Hussein einen Angriff beginnt, bleibt in absehbarer Zeit gering." Dieses Dokument wirft weitere brisante Fragen auf: Warum trug dann US-Außenminister Colin Powell in seiner Präsentation vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar letzten Jahres mit großer Bestimmtheit und Überzeugung Fakten vor, die für akuten Handlungsbedarf und gegen mehr Zeit für die UN-Inspektoren sprachen und von der unzweifelhaften Existenz biologischer und chemischer Waffen ausgingen? Fest steht angesichts dieser Widersprüche: Es gibt weiter jede Menge Aufklärungsbedarf - und politischen Sprengstoff.

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