Keine Inflation von Einser-Abis

Trier · Der Notenschnitt in Rheinland-Pfalz hat sich nur leicht verbessert.

Trier Es müsse Schluss sein mit der Inflation von Einser-Abis, forderte Josef Kraus, Präsident des Lehrerverbandes. Allein in Berlin habe sich die Zahl der Abiturzeugnisse mit einem Notendurchschnitt von 1,0 innerhalb von zehn Jahren vervierzehnfacht, sagte der streitbare Verbandsvorsitzende Ende vergangenen Jahres. Kraus deutet die Einser-Flut aber nicht als eine Verbesserung der Schüler, sondern er geht von einem Nachlassen der Anforderungen aus.
Dass sich die Abiturnoten deutlich verbessert hätten, könne man in Rheinland-Pfalz nicht erkennen, sagt Sabine Schmidt, Sprecherin im Bildungsministerium. Als Antwort auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Landtag legte Bildungsministerin Stefanie Hubig im September vergangenen Jahres Zahlen vor, die zeigen sollen, dass sich der Schnitt der Abiturnoten in den vergangenen zehn Jahren nicht deutlich verbessert hat. Demnach lag er 2006 bei 2,6, und 2015 war die durchschnittliche Note der Abiturienten an Gymnasien 2,4. Nur ein geringer Teil der Abiturienten schaffe einen Einser-Abschluss, sagt Schmidt. Zudem legte Hubig auch die Zahlen der Durchfaller bei den Abiturprüfungen vor. Demnach haben 2015 insgesamt 12 820 Schüler ihr Abi geschafft, 217 haben die Prüfungen nicht bestanden.
Schon immer habe es Diskussionen über die Qualität der Abiturprüfungen gegeben, sagt Hjalmar Brandt, Landesgeschäftsführer des Lehrerverbandes VBE. Klagen darüber, dass das Abitur heute weniger wert sei als früher, seien nichts Neues. Brandt: "Nichts in der Bildungspolitik ist - bundesweit - so reglementiert wie das Abitur, auf nichts wird so geachtet wie auf den Abiturstandard."
Allerdings gibt es keine bundesweit einheitlichen Abiturstandards. Zu einem Zentralabitur mit gleichen Prüfungsaufgaben in allen Bundesländern konnten sich die Bildungsminister nicht durchringen. Der Kompromiss ist ein Aufgabenpool für die Fächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch, auf den sich die Kultusministerkonferenz im Oktober 2012 geeinigt hat. Aus dem Pool können sich die Bundesländer dann für die Abiturprüfungen bedienen (der TV berichtete).
"Ziel des Aufgabenpools ist es, die Anforderungen im Abitur bundesweit transparenter und vergleichbarer zu machen", sagt Bildungsministerin Hubig. Erstmals wurden den rheinland-pfälzischen Abiturienten in diesem Jahr Aufgaben aus diesem Pool gestellt. In Mathematik, Englisch und Französisch mussten sie mehrere Aufgaben bearbeiten, von denen laut Hubig eine aus der zentralen Aufgabensammlung kam. In Deutsch gab es als Aufgabe aus dem Pool die Erörterung eines Sachtextes aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Die Schüler konnten wählen, ob sie diese Aufgabe oder eine von zwei anderen, die dann von den jeweiligen Schulen gestellt worden sind, bearbeiten wollten. Die ersten Rückmeldungen von Schulen nach den Deutschprüfungen zeigten, dass die Abiturienten, die sich für die zentrale Aufgabe entschieden haben, etwas schlechter abgeschnitten hätten als die, die eine der anderen gelöst hätten, sagt die Ministeriumssprecherin. Sie reagiert damit auf die Kritik eines rheinland-pfälzischen Gymnasiallehrers ausgerechnet in der FAZ, weil den angehenden Abiturienten schon vor zwei Jahren bekannt gewesen sei, dass eine Erörterung eines Medientextes in der Deutschprüfung verlangt werde. Wie die Schüler zu dieser Diskussion stehen, ist unbekannt. Eine Anfrage unserer Zeitung an die Landesschülervertretung blieb gestern unbeantwortet.
VBE-Geschäftsführer Brandt sieht in der ansatzweisen Abiturvereinheitlichung durch den zentralen Aufgabenpool einen Spagat. "Einerseits wollen Landesregierungen nicht ihre schulpolitische Macht, ihre Bildungshoheit, abgeben. Zum anderen ist ihnen klar, dass wir mehr Vereinheitlichung brauchen, wenn wir gemeinsame Leistungsstandards anstreben." Die Gymnasiallehrer sehen ein Zentralabitur kritisch. "Das führt zu hohen Qualitätsverlusten", sagt Jochen Ring, Sprecher des rheinland-pfälzischen Philologenverbandes, der Interessenvertretung der Gymnasiallehrer. Derzeit gebe es noch ein "gutes, anspruchsvolles Abitur" in Rheinland-Pfalz. "Das ist besser als in Ländern, in denen es bereits Zentralabitur gibt, wie etwa in Nordrhein-Westfalen." Ring räumt aber auch ein, dass die Anforderungen an die Abiturprüfungen hierzulande durchaus von Schule zu Schule unterschiedlich sein können.

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