"Keine Schmerzen, das ist das Wichtigste"

Trier · Karl-Heinz Flesch ist todkrank. Weil der ambulante Palliativ- und Hospizdienst ihn betreut, kann er zu Hause sterben.

Trier Franz-Josef Flesch weiß, dass er bald sterben muss. Der Krebs in seinem Körper ist nicht aufzuhalten. "Zum Glück habe ich keine Schmerzen", sagt der 69-Jährige, als ihn der Trierische Volksfreund in seinem Zuhause besucht. "Keine Schmerzen, das ist das Wichtigste, denn sonst kann mir niemand mehr helfen."
Probleme beim Wasserlassen hatte er schon länger. Es war Anfang 2015, als der ehemalige Schrotthändler endlich beim Arzt Hilfe suchte. "Von Krebs war damals keine Rede", erzählt Flesch. Da die Medikamente nicht wirklich halfen, musste im November ein Katheter gelegt werden. "Dabei ist der Krebs entdeckt worden." Die genauere Untersuchung brachte eine erschütternde Diagnose: Metastasen in Leber und Wirbelsäule. Keine Heilung möglich.
Franz-Josef Flesch erzählt seine Geschichte gefasst. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich am Jahresende noch da bin." Er sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer. Im Regal stehen die gerahmten Fotos aus besseren Tagen. Seit er vor wenigen Tagen nach einem kurzen akuten Zwischenaufenthalt im Krankenhaus wieder nach Hause gekommen ist, dominiert ein modernes Krankenbett den Raum.
Die gewohnte Umgebung und seine Frau geben dem todkranken Mann Halt. Er ist einer der 25 Patienten, die von Ruth Krell derzeit betreut werden. Gemeinsam mit fünf Kolleginnen kümmert sich die Palliativfachkraft um sterbenskranke Menschen. "Für mich ist die ambulante Hospizversorgung ein ganz wesentlicher Bestandteil der Versorgung und Betreuung von Menschen", sagt die erfahrene Frau, die nach Jahrzehnten in der stationären Akutpflege vor zehn Jahren in den Hospizdienst wechselte. "Das Lebensende gehört dazu. Es hat seinen eigenen Stellenwert."
Ruhe, Sicherheit und Beschwerdefreiheit nennt die Palliativexpertin als die wichtigsten Ziele. "Wir kämpfen nicht um das Leben. Die Menschen, die ich versorge, dürfen sterben."
Beim Hausbesuch bei Agnes und Franz-Josef Flesch ist an diesem Tag zu greifen, was damit gemeint ist: Was fachlich als "Symptomkontrolle in enger Absprache mit dem Hausarzt" bezeichnet wird, geschieht hier wie selbstverständlich. Ruth Krell hört den Patienten ab und hört ihm zu, sie schaut nach Wasserablagerungen in den Beinen, kontrolliert den Katheter und spricht dabei. Sie erklärt, wie er das Bett einstellen kann, um weniger Beschwerden zu erreichen. Sie spricht mit der Ehefrau, zeigt ihr wichtige Handgriffe, wie sie ihrem Mann helfen kann. Alles geschieht in einem ruhigen Ton. Keine Hektik in einer Lebensphase, in der die Zeit knapp wird. Die Dankbarkeit für die Sorge und mentale Unterstützung ist greifbar. "Frau Krell hat mir sehr geholfen", sagt Agnes Flesch. "Ich kann meinen Mann jetzt mit vielen Dingen helfen, vor denen ich Angst hatte."
Insgesamt 250 todkranke Patienten sind von Palliativpflegerin Ruth Krell, ihren fünf professionellen Kolleginnen und den 65 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern des Ambulanten Hospiz- und Palliativ-Beratungsdienstes (AHPB) im vergangenen Jahr betreut worden. Im Umkreis von 25 Kilometern von Trier sind die Palliativfachkräfte mit ihren Autos unterwegs, die wie eine kleine Krankenstation ausgestattet sind. Denn die Behandlungspflege der sterbenskranken Menschen erfordert sehr unterschiedliche Hilfsmittel und Medikamente. Ziel ist es, im Bedarfsfall innerhalb von 30 Minuten bei den Patienten zu sein.
"65 Prozent unserer Patienten können zu Hause sterben", sagt Ruth Krell. Mit dem erweiterten Angebot der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) könnten es deutlich mehr sein. Dann wäre im Bedarfsfall die pflegerische und medizinische Betreuung rund um die Uhr möglich. Das passiert derzeit zwar auch im Ausnahmefall. Von den Krankenkassen bezahlt werden einige Leistungen aber nicht.
Der für Herbst 2016 geplante Start als SAPV-Team wurde jäh durch eine Grundsatzentscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf gestoppt. Das hat im Sommer entschieden, dass SAPV-Leistungen europaweit ausgeschrieben werden müssen. Weil eine solche Ausschreibung durch die Krankenkassen aber seitdem auf sich warten lässt, ist der Hospizverein Trier ausgebremst. "Wie lange wir unser Angebot in dieser komplexen Form aufrechterhalten können, wissen wir nicht", schlägt Vorsitzender Diedo Römerscheid Alarm.
Krebspatient Franz-Josef Flesch merkt von dieser Hängepartie nichts. Er hat andere Probleme. "Ich würde mich so gerne mehr bewegen", sagt der Mann, dessen nächstes Ziel es ist, im April seinen 70. Geburtstag zu erleben. "Dann stoßen wir mit Sekt an", verspricht er Ruth Krell, die sich gerne auf diese Verabredung einlässt.
"Wir sehen unsere Aufgabe in erster Linie als Begleiter, wo immer sich unsere Patienten aufhalten", beschreibt die 60-Jährige ihr Selbstverständnis. "Das Sterben gehört zum Leben." Es gehe um Entspannung und vor allem darum, die Angst zu nehmen. Und wie geht es ihr selbst dabei? "Ich empfinde es als sehr schöne Aufgabe, wenn ich trotz aller Belastung von meinen Patienten sagen kann, sie dürfen jetzt sterben."
Er habe zum Glück keine Schmerzen, betont Franz-Josef Flesch. "Für mich ist es die Hauptsache, noch einige schöne Tage zu erleben."
Ein Video vom Hausbesuch bei Agnes und Franz-Josef Flesch sehen Sie auf <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/video" text="www.volksfreund.de/video" class="more"%>
PALLIATIVMEDIZIN: WAS IST DAS?


Extra

In der Palliativmedizin geht es darum, unheilbar Kranken unnötiges Leid zu ersparen und ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Die englische Ärztin Cicely Saunders gilt als die Begründerin der modernen Palliativmedizin. "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben." Dieser Satz wird ihr zugeschrieben. Es geht nicht nur um die Linderung von Schmerzen. Ebenso wichtig sind psychischer und geistiger Beistand. Zum Team in palliativen Einrichtungen gehören auch Sozialarbeiter.

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