Keiner blickt mehr durch

TRIER. Das deutsche Steuersystem ist zu kompliziert. Wie es vereinfacht werden kann, sagt der Heidelberger Finanzwissenschaftler Manfred Rose.

Es liegen bereits verschiedene Modelle vor, trotzdem wird das Steuersystem immer komplizierter. Woran liegt das? Rose: Das liegt an der Reformunfähigkeit der Politik. Beispiele Gesundheit oder Rente: Da geht es auch nur ganz mühsam voran. Warum soll es da ausgerechnet bei den Steuern schneller gehen. Warum braucht Deutschland überhaupt ein neues Steuersystem? Rose: Wir haben gar kein Steuersystem, sondern eine Steuervielfalt. Bei den Unternehmenssteuern und der Einkommenssteuer herrscht das reinste Regelungschaos. Die Bürger verstehen nicht, warum der eine weniger Steuern zahlen muss, der andere mehr. Es muss einheitlich Prinzipien geben, nach denen Einkommen zu versteuern ist. Wir brauchen endlich Ruhe an der Steuerfront. Es gibt ständig Änderungen, Bürger und Unternehmen und auch viele Fachleute blicken nicht mehr durch. Wodurch unterscheidet sich ihr Modell von dem jetzigen System? Rose: Das traditionelle Modell orientiert sich daran, was dem Bürger in einem Kalenderjahr aus verschiedenen Quellen an Einkünften zugeflossen ist. Das alles kommt in einen Pott, aus dem sich der Staat dann einen Teil herausnimmt. Es fragt aber nicht, woher Einkommen kommt und wohin es geht. Mein Modell orientiert sich am Lebenseinkommen. Es wird nur der echte Beitrag zum Lebenseinkommen eines Bürgers erfasst. Und welche Auswirkungen hat das? Rose: Nehmen wir einmal die Zinsbesteuerung als Beispiel. Da gibt es derzeit einen Sparerfreibetrag von 1550 Euro. Zinsen, die diesen Betrag übersteigen, sind voll zu versteuern. Aus Sicht des traditionellen Modells ist dieser Freibetrag ein Schlupfloch. Dies sieht auch die Bundesregierung so, denn sie hat den früheren Sparerfreibetrag halbiert. In der lebenszeitlichen Besteuerung ist der Freibetrag aber kein Privileg, sondern ein eher mickriger Ansatz, um die Doppelbelastung der Zinsen zu verhindern. Warum? Rose: Zinsen resultieren aus einem Sparkapital, das aus versteuertem Einkommen gebildet wurde. Sie sind somit schon steuerlich belastet. Werden sie noch einmal besteuert, greift der Fiskus zum zweiten Male in die Tasche des Sparers. Ein anderes Beispiel ist die Besteuerung der Renten. Ich zahle jetzt ein, um später eine Rente zu haben, die ich versteuern muss. Daher müssten alle heutigen Beiträge zur Rentenversicherung von der heutigen Steuerbasis abzugsfähig sein. Werden alle Einkünfte steuerlich gleich behandelt? Rose: Nein, denn Gleichbehandlung führt nicht immer zur Gleichbelastung - und nur darauf kommt es an. Um die Einmalbelastung zu erreichen, muss ich Einkünfte abhängig von ihrer Herkunft unterschiedlich behandeln. Zinsen sind Einkünfte, müssen aber auf Grund ihrer Vorbelastung steuerfrei bleiben. Renten werden aus steuerfreien Einzahlungen gespeist und müssen deshalb versteuert werden. Jeder Beitrag zum Lebenseinkommen wird nur einmal steuerlich belastet. Und das gilt für Bürger und Unternehmen - unterschiedslos. Und das macht dieses System so einfach. Es ist ein faires Steuersystem. Warum ist Ihr System fairer als das jetzige? Rose: Es gibt nur einen Steuersatz. Die Einmalbelastung verhindert, dass Investitionsbeträge - wie das bisher der Fall ist - mehrfach belastet werden. Konsumenten und Sparer tragen gleiche Lasten. Ein Steuersatz für alle - ist das nicht ungerecht? Rose: Nein. Angenommen jemand verdient 20 000 Euro im Jahr. Zieht man den zukünftigen Grundfreibetrag von 10 000 Euro ab, bleibt noch ein zu versteuerndes Einkommen von 10 000 Euro. Bei einem Steuersatz von 25 Prozent beträgt die Steuer dann 2500 Euro. Wer 100 000 Euro verdient, also das Fünffache von dem im ersten Fall, bezahlt 25 Prozent auf 90 000 Euro, also 22 500 Euro. Das ist das Neunfache von dem, was der Kleinverdiener an Steuern zahlt. Damit wird der Forderung, wer mehr hat, soll auch mehr Steuern zahlen, ausreichend entsprochen. Der einheitliche Steuersatz ist natürlich eine Zukunftsvision. Aber damit kann man wirklich höchste Vereinfachung im Steuersystem erreichen. Und die Steuererklärung? Rose: Die wird super einfach. Die meisten Arbeitnehmer und Rentner haben ihre Steuerschulden auf Grund ihrer Abzüge bei der Auszahlung von Löhnen und Renten schon beglichen. Für sie reduziert sich die Steuererklärung quasi auf das Ausfüllen einer Postkarte Wie zuversichtlich sind Sie, dass eine solche Änderung kommt? Rose: Wenn die Politiker nicht erkennen, dass die Wirtschaft mit dem jetzigen Steuerchaos schweren Schaden nimmt, dann kann ich denen auch nicht helfen. Meine Aufgabe als Wissenschaftler ist es, auf diese Konsequenzen immer wieder hinzuweisen. Mein Modell ist international anerkannt. Der Internationale Währungsfond hat es gelobt, die Bürger finden es auch gut, nur die Politiker sind eben sehr uneinsichtig. Das Interview führte TV-Redakteur Bernd Wientjes

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