Kick für Deutschland

Berlin . Das kann Sigmar Gabriel, der beleibte Umweltminister, so nicht stehen lassen. Geduldig sitzt er in der zweiten Reihe der Bundestagsarena gegenüber dem Kanzleramt und brennt auf seine Einwechslung. Es geht um Fußball an diesem Montagabend, worum sonst.

Die SPD-Fraktion hat rund 400 Jugendtrainer und Abgeordnete zum "Kick für Deutschland" gebeten, zu einem launisch-nostalgischen Rückblick auf vergangene Erfolge. Vieles dreht sich um Wunder, um das von Bern, um die von Berlin, und mancher wundert sich dabei immer noch über den Abpfiff für Rot-Grün im vergangenen Jahr. Peter Struck, der Fraktionschef, sagt bei seiner Begrüßung also den folgenschweren Satz über seinen dicken Parteifreund: "Der sieht von seiner Statur nicht so aus, als ob er jemals Fußballspielen konnte." Gabriel schluckt, seitdem sitzt er auf der Bank und lauert wie Oliver Kahn. Fußball regiert Berlin. Und die Politik will mitmischen. Dafür hat sie die Bundestagsarena als Hort der Bürgerinformation für satte 2,5 Millionen Euro gebaut; 46 000 Besucher haben darin in den knapp zwei Wochen seit Eröffnung Platz genommen, mancher hatte insgeheim mit weit mehr gerechnet. Keine Fraktion kann es sich leisten, dort nicht irgendeine Veranstaltung zum runden Thema zu machen - schließlich wird die Arena zum größten Teil aus Steuergeldern und nicht wie erhofft von Sponsoren finanziert. Nutzung ist Pflicht. Die Genossen preschen also voran. Und während die Hauptstadt wie ein Fahnenmeer daherkommt, ist von Schwarz-Rot-Gold bei der SPD nichts zu sehen. "Ich bin ein moderater Mensch", begründet Bundestagsvize Wolfgang Thierse seinen Verzicht auf ein Fähnchen. Schade. Willi Lemke, Bremens Bildungssenator und Aufsichtsratschef bei Werder, ist unvermeidbar, wenn es um Fußball und SPD geht. Horst Hrubesch, "Kopfballungeheuer" (Struck) und irgendwann mal Europameister, kommt auch zum verbalen Einsatz. Ebenso wie der andere Horst, der Horst Eckel, Weltmeister 1954. Er erklärt zum tausendsten Mal, wie das damals war mit Rahn und Co und dem Wir-Gefühl. Gabriel: "Ich habe vor 20 Kilo Fußball gespielt"

Den Genossen wird's gehörig warm ums Herz, viele beschleicht ein wohliges Lächeln, und sie lauschen Eckel, als ob sie dringend noch was dazulernen müssten in Sachen Zusammenhalt. Der Geist von Gerhard Schröder weht durch die Arena. Fußball-Rentner Eckel kann es hingegen nicht fassen, dass er nach 52 Jahren immer noch so gefragt ist: "Das ist das zweite Wunder." Wohl wahr. Das dritte und außergewöhnlichste Wunder an diesem Abend präsentiert Günther Koch, fränkischer SPD-Fußballkommentator aus dem Radio. Er moderiert und redet und redet irgendwann mit rollendem "R" diesen Satz: Alles toll, "weil wir eine WM feiern, die Rot-Grün nach Deutschland geholt hat!" Echt? Die Augen der Genossen weiten sich, wieder wird es ihnen warm ums Herz. Fußball und Politik, da ist sie ja, die wahre Gemeinsamkeit: Beide neigen zu erheblicher Verklärung. Sigmar Gabriel kommt deshalb endlich zu seinem Auftritt, und bevor er über die Fifa und den Umweltschutz referiert, grätscht er lang ersehnt zurück gegen Struck: "Ich war linker Verteidiger. Ich habe vor 20 Kilo Fußball gespielt!" Noch so ein Wunder.

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