Klage beim Ausstieg aus dem Ausstieg

BERLIN. Die SPD will vor Gericht ziehen, um der milliardenschweren Rückstellungspraxis der Atomindustrie einen Riegel vorzuschieben, falls eine neue Bundesregierung aus Union und FDP den Ausstieg aus der Atomenergie aufkündigen sollte.

Eine Verfassungsklage in Karlsruhe durch die SPD-Fraktion, der sich vermutlich auch die Grünen-Fraktion anschließen werde, sei dann "unausweichlich", "die Subvention der Atomkraft über das Steuerrecht muss dann ein Ende finden", sagte Hermann Scheer, der Energie-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, gestern in Berlin.Geht es nach dem geltenden Atomgesetz, muss der Energiekonzern RWE im Jahr 2008 in Biblis das derzeit älteste von insgesamt 17 noch betriebenen Kernkraftwerken in Deutschland abschalten. Der Atomkonsens, der 2002 zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Atomkraftwerksbetreibern beschlossen worden war, sieht weiter vor, dass ab 2021 endgültig Schluss ist mit Atomstrom aus deutschen Kraftwerken.

Union und FDP wollen dies ändern, sie planen "den Ausstieg aus dem Ausstieg", sollten sie die Wahl am 18. September gewinnen. Im Wahlprogramm der CDU heißt es: "Der Ausstieg aus der Kernenergie ist umweltpolitisch und technologisch verheerend. Die dadurch aufgerissene Stromversorgungslücke in Deutschland kann nur mit zusätzlichen fossilen Kraftwerken geschlossen werden. Dies widerspricht den Klimaschutzzielen. Er bedroht zudem die deutsche kerntechnische Industrie, technologisches Aushängeschild Deutschlands mit Exportpotenzial."

Konkret: Die Union will die Laufzeiten der Atomkraftwerke bis 2028 verlängern. Und sie möchte die Hälfte der Konzerngewinne aufgrund der längeren Laufzeiten gerne in einen Fonds stecken, der unter hohen Strompreisen leidenden energie-intensiven Betrieben zu Gute kommt. Die Energiekonzerne lehnen dies strikt ab. Ob unter einer schwarz-gelben Regierung auch neue Kernkraftwerke geplant werden, bleibt offen.

Die vier großen Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland sind RWE, Vattenfall, Eon und EnbW. Derzeit verfügen alle Energiekonzerne, die zugleich auch Kernkraftwerke betreiben, über Rückstellungen in Höhe von insgesamt 30 Milliarden Euro. Diese Gelder speisen sich aus erwirtschafteten Gewinnen der Energiekonzerne. Sie sind eigentlich ausschließlich als zweckgebundene Rückstellung zum Beispiel für atomare Entsorgung, den Bau eines Endlagers oder den Rückbau von Atomanlagen vorgesehen. Deswegen sind diese Gelder auch komplett von der Steuer befreit.

Seit Jahren, so der SPD-Politiker Scheer gestern, sei es jedoch "schlechter Brauch" der Konzerne, mit den steuerbefreiten Milliarden in "unzulässiger Art und Weise" für grobe Wettbewerbsverzerrungen zu sorgen. Scheer: "Es gibt keine Kontrollen und keine Auflagen." So kauften die Energiekonzerne mit Rückstellungsgeldern zum Beispiel Stadtwerke oder sogar ganze Energiekonzerne in Osteuropa auf.

Im Zuge des vereinbarten Atomausstiegs habe die rot-grüne Bundesregierung diesen Missbrauch der Konzerne bis heute stillschweigend geduldet. "Wir haben nicht unnötig ein neues Kampfgebiet aufmachen wollen", sagte Scheer. Damit sei aber bald Schluss. Per Gericht möchte der SPD-Politiker erzwingen, dass diese steuerbegünstigten Gelder künftig in einen unabhängigen "öffentlich-rechtlichen Fonds" überführt werden und somit der Atomindustrie nicht mehr für "unzulässige Geschäfte" zur Verfügung stünden.

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