"Klatsche für die Politik"

Karlsruhe/Berlin. (dpa) Mutmaßliche Straftäter mit deutschem Pass dürfen vorerst nicht mehr an andere EU-Staaten ausgeliefert werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl am Montag für nichtig. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) kündigte einen neuen Gesetzentwurf in vier bis sechs Wochen an.

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl für verfassungswidrig erklärt. Bei Bundesregierung und Parteien sorgte das Urteil am Montag für Aufregung und höchst unterschiedliche Reaktionen. Brigitte Zypries (SPD) sprach von einem ,,weiteren Rückschlag für die Regierung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus". Die Bundesjustizministerin kündigte in einem Rundfunkinterview an, innerhalb der nächsten ,,vier bis sechs Wochen" ein neues Gesetz vorlegen zu wollen. Der rechtspolitische Sprecher der Union, Wolfgang Bosbach, meinte gegenüber unserer Zeitung, ,,das Urteil ist ein Weckruf für die Politik". Der Bundestag müsse sich künftig viel intensiver und selbstbewusster mit allem beschäftigen, was in Europa beschlossen werde. FDP: Feierstunde für die Grundrechte

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Hans-Christian Ströbele, sagte im Gespräch mit unserer Zeitung: ,,Das ist eine Klatsche für die Politik und ein Erfolg für die Bürgerrechte." Die FDP sprach von einer ,,Feierstunde für die Grundrechte". Der Zweite Senat des Karlsruher Verfassungsgerichts hatte am Montag entschieden, dass mutmaßliche Straftäter mit deutschem Pass vorerst nicht mehr ans EU-Ausland ausgeliefert werden dürfen. Das entsprechende Gesetz, das am 23. August 2004 auf Initiative der Bundesregierung mit dem Segen von Rot-Grün und Union in Bundestag und Bundesrat in Kraft getreten war, wurde somit für nichtig erklärt. Mit diesem Gesetz hatte Deutschland in einem vereinfachten Verfahren erstmals die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an EU-Staaten erlaubt, wenn dort ein richterlicher Haftbefehl gegen sie vorliegt. Konkret hatte das höchste Gericht den Fall des Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli zu beurteilen. Im vergangenen Herbst sollte er an Spanien ausgeliefert werden. Die spanischen Ermittler sehen in ihm eine gefährliche Schlüsselfigur des Terrornetzwerkes Al Kaida in Europa. Die Bundesanwaltschaft hatte nach den Terroranschlägen vom 11. September über lange Zeit zwar auch gegen den damals 46-Jährigen, der seit 1990 einen deutschen Pass besitzt, ermittelt. Allerdings ohne greifbares Ergebnis. Es kam zu keiner Anklageerhebung. Die von Terroranschlägen heimgesuchten Spanier dagegen waren bei ihren Ermittlungen fündig geworden, sie stellten einen Europäischen Haftbefehl aus. Darkazanli wurde im Oktober 2004 in Hamburg festgenommen. Das BVG stoppte jedoch auf Beschwerde der Anwälte des Kaufmanns die eingeleitete Auslieferung Darkazanlis an die spanischen Behörden buchstäblich in letzter Minute. Nach dem gestern ergangenen Urteil geht nach BVG-Meinung die Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses in deutsches Recht zwar prinzipiell in Ordnung. Das vorliegende Gesetz sei aber höchst mangelhaft in der Ausführung, weil es unverhältnismäßig in den Auslieferungsschutz des Grundgesetzes für deutsche Staatsbürger eingreife. Die Richter fordern von der rot-grünen Bundesregierung gesetzliche Nachbesserungen und beziehen sich dabei auf Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes, der Deutsche grundsätzlich vor Auslieferung ins Ausland schützt. Mamoun Darkazanlis wurde noch am Montag aus dem Untersuchungsgefängnis entlassen.

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