Knatsch um Mindestlöhne

Franz Müntefering war guter Dinge. Einstimmig hatte das Bundeskabinett beschlossen, die Briefzusteller in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufzunehmen. Damit sei der Weg für allgemeinverbindliche Mindestlöhne in der Branche geebnet, triumphierte der SPD-Arbeitsminister. Die konkreten Lohnstandards, an denen sich die politischen Geister nach wie vor scheiden, werden freilich erst später per Verordnung festgelegt.

Berlin. Der jüngste Regierungsbeschluss sieht einstweilen nur vor, dass nach der Bauwirtschaft und dem Gebäudereinigerhandwerk auch alle Briefzusteller von festen Lohnuntergrenzen profitieren sollen. Sie gelten dann branchenweit, also für Angestellte ausländischer Wettbewerber und einheimischer Unternehmen, die ihren Beschäftigten bislang weniger zahlen. Den Mindestlohn kann es aber nur geben, wenn sich zuvor die Tarifparteien darüber einig geworden sind. Spätestens an dieser Stelle beginnt das Problem. Zwar liegt seit Anfang September ein Tarifvertrag vor. Für die Arbeitgeber war aber nur der von der Post dominierte Verband "Postdienste" beteiligt. Danach sollen Briefsortierer mindestens acht Euro und Briefzusteller neun Euro pro Stunde bekommen. Konkurrenten wie die Pin Gruppe oder das niederländische Unternehmen TNT blieben außen vor. Sie hegen den Verdacht, dass sich die Post nur lästige Wettbewerber vom Hals schaffen will. Nach einer Studie der Bundesnetzagentur verdienen Briefzusteller bei den Post-Konkurrenten im Schnitt 7,94 Euro pro Stunde. Zum Vergleich: Die Forderung des DGB für einen flächendeckenden Mindestlohn liegt bei 7,50 Euro. Ebenso wie die Post-Konkurrenten wittert man auch in der Union eine vorsätzliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Auf Druck von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wurde der Kabinettsbeschluss deshalb durch einen Passus ergänzt. Demnach bedeutet die Öffnung des Entsendegesetzes für den Briefdienst "nicht automatisch", dass ein "bestimmter Mindestlohntarifvertrag" zum Zuge kommt. Für Müntefering ist das jedoch weiße Salbe: "Da könnte das Kabinett auch beschließen, dass die Erde keine Scheibe ist." Denn natürlich sei die bloße Öffnung des Entsendegesetzes noch keine Vorentscheidung für eine konkrete Lohnhöhe.Regierungssprecher spielt auf Zeit

Glos bestand darauf, dass nur "Briefdienstleister" statt "Postdienstleister" ins Entsendegesetz aufgenommen werden sollen. Zeitungsboten, Kuriere oder Paketdienste, sofern sie keine Briefe mitaustragen, sind demnach nicht erfasst. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Zeitungsverlegerverband rechneten vor, dass mindestens 270 000 Arbeitnehmer von der Allgemeinverbindlichkeit erfasst wären, in den vorliegenden Tarifvertrag aber nur 119 000 Arbeitnehmer einbezogen sind. Damit werde das 50-Prozent-Quorum "bei weitem verfehlt". Die Rechnung bezieht sich allerdings auf sämtliche Postdienstleistungen. So geht der Streit in eine neue Runde. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm spielte dann auch auf Zeit: Ob der vorliegende Tarifvertrag die gesetzlichen Vor-aussetzungen erfülle, werde vom Kabinett "in den nächsten Wochen" diskutiert.

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