Knirschen im Getriebe

BERLIN. Außenpolitische Erfolge, innenpolitische Probleme – Schwarz-Rot muss sich noch finden. Zurzeit knirscht es im Getriebe der großen Koalition.

Zum Glück gibt es außenpolitische Verdienste, die die große Koalition in mildes Licht tauchen. Mit Bravour hat Kanzlerin Angela Merkel ihren ersten EU-Gipfel bestanden. Als Architektin des künftigen europäischen Finanzrahmens wurde sie gefeiert. Und dann auch noch das friedliche Ende beim deutschen Geiseldrama im Irak. Kurzum, Schwarz-Rot hätte gute Gründe, sich auf die Schulter zu klopfen. Stattdessen wird gezetert. SPD-Fraktionschef Peter Struck entließ seine Genossen nicht ohne verbale Spitzen gegen den Koalitionspartner in die Weihnachtspause. Er habe das Gefühl, dass CDU und CSU einfach viele Jahre Regierungserfahrung fehlten. "Sonst könnten sie sich nicht so verhalten, dass die einen den Koalitionsvertrag unterzeichnen, die anderen aber dagegen Opposition machen." Wechselseitige Keilerei

Von wegen rote Professionalität, keilt die Union zurück. Und richtig: Bis eben noch war die SPD für allerlei Nachbesserungen im Gesetzblatt berüchtigt. Der wechselseitige Unmut kommt nicht von ungefähr. Die ersten internationalen Gehversuche einschließlich der CIA-Folteraffäre haben nur verdeckt, was sich nach den ersten vier Wochen des Berliner Zweckbündnisses durch Strucks Einlassung entlädt: Innenpolitisch häufen sich die Probleme und Widersprüchlichkeiten. Über den gesetzgeberischen Alleingang von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Sachen Arzneimittel-Sparpaket stöhnte die Union. Die SPD fühlt sich durch forsche Auftritte von Innenminister Wolfgang Schäuble provoziert. Es geht um mehr oder minder rechtsstaatliche Methoden im Anti-Terror-Kampf, aber auch um die uralte Unionsforderung nach Bundeswehreinsätzen im Inland. Und Finanzminister Peer Steinbrück ist erbost, dass einige Kabinettskollegen den Schwur zum Sparen in den Wind schlagen. Erst musste er mehr Geld für Langzeitarbeitslose lockermachen. Jetzt drohen dem Kassenwart höhere Ausfälle bei der Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, weil Familienministerin Ursula von der Leyen in dem Poker offenbar die besseren Karten hat. Nun sollte man derlei Scharmützel zunächst einmal nicht überbewerten. Auf Bundesebene waren sich Union und SPD über Jahrzehnte in herzlicher Abneigung verbunden. Da kostet es viel Überwindung, sich plötzlich als Regierungsmannschaft zu begreifen. Opposition mit klarem Feindbild ist jedenfalls leichter, als vom Wähler zwangsweise zum Paktieren verdonnert zu werden. Allerdings werden die Herausforderungen nicht kleiner. Im Gegenteil. Die steuer- und arbeitsmarktpolitischen Mini-Gesetze am Ende des ersten Regierungsmonats waren noch eine leichte Übung. Der Ernstfall kommt im nächsten Jahr. Im Mittelpunkt steht die Gesundheitsreform, von der noch niemand weiß, wie sie zu Stande kommen soll. Ein weiteres Projekt ist das Elterngeld. Auch hier knirscht es im Koalitions-Getriebe. Über die Notwendigkeit einer größeren Förderung von Familien herrscht Einigkeit. Doch im Detail stehen die Modelle von Union und SPD für unterschiedliche Gesellschaftsauffassungen. Die Genossen wollen den Anreiz für Männer erhöhen, sich um ihr Kind zu kümmern. CDU und CSU setzen auf eine traditionelle Rollenverteilung. Nicht minder brisant ist die Diskussion um den Ausbau eines staatlich bezuschussten Niedriglohnsektors. Hier will die Union nicht kleckern, sondern klotzen, während die SPD eine Lohnspirale nach unten befürchtet. Entsprechend mehr Steuergeld müsste Peer Steinbrück obendrauf legen. Und da liegt der Kern der aktuellen Dissonanzen. Ohne klare Prioritäten, wie es Schwarz-Rot wirklich mit dem Sparen hält, wird das Koalitionsklima weiter belastet. Kanzlerin Merkels Meinung dazu ist ambivalent. Die zusätzlichen Bundesmittel für Langzeitarbeitslose hält sie gerade noch für finanziell vertretbar. Auf der anderen Seite stellt die Kanzlerin den neuen Ländern eine Entschädigung für ihre Einbußen im Zuge des EU-Finanzkompromisses in Aussicht, was auch den Bund abermals belasten könnte.

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