Koalition hält nicht mehr zu Jung

Ohne die Möglichkeit zum Abschuss einer entführten Passagiermaschine sieht Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) Deutschland im Terrorfall wehrlos. Damit wäre der Rechtsstaat infrage gestellt, sagte Jung in einer von Empörung der Opposition geprägten Debatte am Mittwoch im Bundestag. Er forderte dringend eine Änderung des Grundgesetzes. Die SPD ging auf Distanz zu Jung.

Berlin. FDP-Chef Guido Westerwelle sah schon den Koalitionskrieg ausbrechen, weil Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) über Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) in einem Interview gesagt hatte, dieser habe eine "Demarkationslinie" überschritten. Der Begriff, erklärte der Liberalen-Vorsitzende genüsslich, beschreibe eine Zone des Waffenstillstandes. Zum Krieg kam es nicht, jedoch zeigte die Große Koalition gestern tiefe Risse. Erstmals kritisierten wichtige Redner der SPD auch vom Rednerpult des Bundestages ganz offen Regierungsmitglieder der CDU. "Die Äußerungen der Minister Jung und Schäuble tragen zur Verunsicherung und nicht zur Stabilisierung bei", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Sozialdemokraten, Uwe Küster, im Auftrag seiner Fraktion. Die genannten Minister hörten mit versteinerten Mienen zu. "Was Sie sagen, hilft weder der Koalition noch den Soldaten, und ist auch nicht zielführend", fügte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, direkt an Jung gewandt hinzu. Die Sozialdemokraten beklatschten diese Passagen zusammen mit den Abgeordneten von FDP, Linken und Grünen. Doch gemeinsam mit der Opposition zu stimmen, so weit ging die SPD dann doch nicht. Als die FDP beantragte, wegen Jungs Äußerungen über den Abschuss entführter Passagiermaschinen sofort eine Regierungserklärung von der Kanzlerin zu bekommen, um zu erfahren, was denn eigentlich die Haltung der Bundesregierung sei, wurde dies von der Großen Koalition geschlossen abgelehnt. "Firlefanz" schalt CDU-Geschäftsführer Norbert Röttgen den Vorstoß. Gegensätzlich abzustimmen ist ein Scheidungsgrund für Koalitionen, gegensätzlich reden aber nicht. Die SPD hielt die Grenze haarscharf ein. Außerhalb des Parlaments hagelte es von ihr noch viel heftigere Kritik. Meldungen, dass Schäuble eine Grundgesetzänderung plant, wonach ein Terrorangriff wie ein klassischer Verteidigungsfall behandelt werden kann und der Innen- und Verteidigungsminister eine "Eilkompetenz" bekommen sollen, um zum Beispiel die Luftwaffe einzusetzen, heizten die Stimmung zusätzlich an. Der SPD-Rechtsexperte Klaus-Uwe Benneter warf den beiden Unionsministern vor, das Klima zu vergiften, und die Jusos forderten gar den Rücktritt Jungs. Der verteidigte sich im Parlament sehr zurückhaltend. Seinen Satz "Ich würde den Befehl geben" wiederholte Jung nicht, sondern verwies lediglich auf die rechtliche Lücke, die es gebe, seit das Verfassungsgericht das rot-grüne Abschuss-Gesetz kippte. Die Union saß nur mit der zweiten Garde im Plenum, klatschte wenig, und ihr Redner, Bernd Siebert, beließ es bei der allgemeinen Erklärung, Jung habe das Vertrauen seiner Fraktion. Aber, konterte FDP-Chef Westerwelle, "nicht mehr das der Mehrheit des Bundestages". Heute geht das Scharmützel weiter. Dann steht eine Debatte über Wolfgang Schäubles Warnung vor einem nuklearen Anschlag an. Von ihm will nicht nur die Opposition, sondern auch Vizekanzler Müntefering wissen, "was da gewusst oder vermutet wird". Extra Eine klare Mehrheit der Bundesbürger ist laut einer Umfrage gegen den Abschuss von Passagiermaschinen im Terrorfall. 73 Prozent lehnen dies ab, ergab eine am Mittwoch veröffentlichte Forsa-Umfrage für den Nachrichtensender n-tv .

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