Kommt der gläserne Bürger?

BERLIN. Mit einem weit reichenden Gesetz will Finanzminister Hans Eichel dafür sorgen, dass Behörden die finanziellen Verhältnisse von Bürgern ausspähen dürfen. Doch der Protest dagegen formiert sich.

Die Bundesregierung will Steuersündern das Handwerk legen. Ein durchaus lobenswerter Vorsatz, zumal nicht einsehbar ist, dass nach wie vor viele Top-Verdiener ihre stattliche Steuerlast klammheimlich gesetzeswidrig mindern, während der "kleine Mann" durch automatischen Einzug brav entrichtet, was des Staates ist. Allerdings wird der Protest gegen das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" immer lauter. Banken und Oppositionspolitiker klagen gegen den angeblichen Versuch, das Bankgeheimnis zu durchlöchern und den "gläsernen Bürger" zu schaffen. Am Freitag hat die Bundesregierung abermals entsprechende Vorwürfe energisch zurück gewiesen. Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich so aus, als würde sich die Regierung "von den Prinzipien des Rechtsstaats verabschieden", wie die FDP-Rechtspolitikern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meint. Die harsche Kritik der ehemaligen Justizministerin, das rechtsgültige Gesetz (es tritt am 1. April 2005 in Kraft) sei eine "Katastrophe" und führe zur "völligen Durchleuchtung des Bürgers", scheint berechtigt: Ab nächsten April kann die Finanzverwaltung in Deutschland effektiv überprüfen, ob die Angaben eines Steuerpflichtigen vollständig und richtig sind. Sie kann über die "Konten-Evidenz-Zentrale" auf elektronischem Wege die so genannten Stammdaten eines Steuerbürgers erfragen: Name, Anschrift, Geburtsdatum, Namen der Verfügungsberechtigten. Die eigentlich interessanten Daten - Kontostand, Überweisungen, Einzahlungen - sind allerdings nicht Gegenstand dieses Verfahrens.Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht

Dennoch laufen die Kritiker Sturm. Schon die Tatsache, dass der Staat wissen will, wie viele Konten ein Bürger unterhält, halten sie für unbillig. Zudem beklagen sie, dass die Kontendaten ohne Kenntnis der Betroffenen erhoben werden können. Die kleine Volksbank in Raesfeld (Münsterland) und der Münchner Rechtsprofessor Gunter Widmaier haben schon Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um den "Schnüffelstaat" zu verhindern. Diesem Ansinnen sieht das Bundesfinanzministerium indes gelassen entgegen. Staatssekretärin Barbara Hendricks verweist auf zwei Urteile der Karlsruher Richter, aus dem das Ministerium seine Rechtssicherheit bezieht (Az.: 1BvR 1463/89 und 1 BvR 1213/00) . Bei genauerem Hinsehen scheint der Sachverhalt in der Tat weniger spektakulär, als die Gegner des Gesetzes, das schon 2003 mit großer Mehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde, glauben machen wollen. Die Begründung des Finanzministeriums klingt jedenfalls logisch: Der Staat sei dazu verpflichtet, Steuergerechtigkeit gegenüber jedermann walten zu lassen.Bei Unklarheiten soll nachgeforscht werden

Es gehe schlicht darum, Steuerhinterzieher zu ermitteln. Bislang brauchte der potentielle Steuersünder manche Konten nämlich bloß zu verschweigen, um weitgehend unbehelligt zu bleiben. Die Finanzbehörden kam ihm nur durch eine Anzeige Dritter (enttäuschte Familienmitglieder, Geschäftsfreunde) oder zufällig auf die Spur. Deshalb soll nun bei "Unklarheiten in den Steuerakten" nachgeforscht werden können. Wenn "Diskrepanzen" zwischen den Erkenntnissen der Behörden und den Angaben des Steuerpflichtigen auftauchten, werde der Betroffene informiert und um Aufklärung gebeten. Wäre alles in Ordnung, sei der Fall erledigt. Dann müsse der Steuerpflichtige "aus Gründen der Verwaltungsökonomie und der Verhältnismäßigkeit" auch nicht über die Kontenabfrage informiert werden, meint das Ministerium. Im Übrigen stehe es jedem Bürger frei, vom Finanzamt Auskunft zu verlangen, ob eine Anfrage durchgeführt wurde. Zudem könne er die Rechtmäßigkeit einer Kontenabfrage gerichtlich überprüfen lassen. Also alles halb so schlimm? Die Finanzpolitiker der SPD sehen das so. Steuerhinterzieher verdienten keinen Schutz, meinte Fraktionsvize Joachim Poß auf Anfrage. Mit "Totschlagargumenten" gegen die neue Regelung werde nur ein Zweck verfolgt: Steuerhinterzieher weiter zu decken. Auch der finanzpolitische Sprecher Jörg-Otto Spiller sagte, das Gesetz trage nicht nur zur Steuergerechtigkeit bei, sondern wirke auch vorbeugend gegen jede Art der Steuerhinterziehung. Das Urteil des Verfassungsgerichts gegen die Beschwerden wird Anfang nächsten Jahres erwartet.

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